Debatte Integrationspolitik: Der Rückschritt
Wer integrationspolitisch was zu melden haben will, tutet derzeit ins Horn der Abgrenzung: „Wir und die“. Da waren wir schon mal weiter.
I n Wahlkampfzeiten schmücken Parteien wichtige Themen gerne mit dem (vermeintlich) zukunftsträchtigen Zusatz „2. 0“ – und aufwärts. Beim Thema Integration passiert das nie. Im Gegenteil. Integrationspolitik in Deutschland ist immer die Frage: Was ist zu tun, damit sich nichts ändert?
Das TV-Duell zwischen Kanzlerin Merkel und dem SPD-Kanditaten Marin Schulz hat gezeigt, wie sehr sich dieser Grundgedanke im letzten Jahr verfestigt hat. Und dass die AfD hierzulande dieselbe Wirkung zu haben scheint wie Marine Le Pen in Frankreich: Ganz gleich, wie sie abschneiden, ihre Themen haben die Wahl gewonnen.
Dabei gab es mal so etwas wie eine Sternstunde der deutschen Integrationspolitik. Als beispielsweise 2014 die Optionspflicht im Staatsbürgerschaftsrecht abgeschafft wurde. Noch am 30. April 2015 feierte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) die Erfolge von zehn Jahren Zuwanderungsgesetzgebung. Man war ambitioniert. Niemand sah damals den rasanten Aufstieg der rechten Parteien auch in Deutschland voraus, weil ein Bruchteil der Menschen auf der Flucht Europa erreichen würde. De Maizière mahnte an jenem Tag: „Wir dürfen über die Flüchtlingsfrage nicht die klassische Integrationspolitik vergessen.“
Damals wollte auch die konservative Politik vom Diversity-Management der Wirtschaft lernen, weil Deutschlands Bevölkerung heutzutage nun einmal vielfältig ist. Auch die Integrationsbeauftragte Aydan Özoğuz (SPD) ist eine Politikerin, die in diesem Geist denkt. Man wollte nicht mehr „über die Einwanderer“ Politik machen, sondern mit allen Bundesbürgern an einem neuen Wir-Gefühl arbeiten. Integration sollte heißen: Gemeinsam im 21. Jahrhundert ankommen. Also Integration 2.0.
Wieder mal deutsche Werte verteidigen
Was dann geschah: Willkommenskultur, Aufschrei und nun wieder: „Wir und ihr“. Wer integrationspolitisch etwas zu melden haben will, muss wieder irgendwelche deutschen Werte gegen „diese Einwanderer“ verteidigen.
Zugegeben, es gibt Abende, da sitzen wir, die Kinder von „diesen Einwanderern“, in Kneipen und lachen uns tot über die Label, die man uns an die Stirn heften möchte. Wir schütteln das ab. Wir sind die Zukunft. Doch dann gibt es Tage, da bleibt einem dieses Lachen im Hals stecken: Wenn im Jahr 2017 gegen ein deutsches Regierungsmitglied wie Aydan Özoğuz Stimmung gemacht werden kann und als Belohnung dafür Talkshowauftritte winken, dann ist das so ein Tag.
Das erste deutsche Regierungsmitglied mit türkischem Migrationshintergrund, und die Rechtsausleger der deutschen Politlandschaft halten es nicht aus. Man hätte nach diesen Aussagen auch Experten in die Fernsehrunden einladen können, die darüber informieren, wie unterrepräsentiert auch noch nach siebzig Jahren Einwanderung die Vielfalt der deutschen Bevölkerung im Bundestag ist, in der Regierung und in Führungspositionen. Und dass sich deswegen viele elitäre Bundesbürger wie Gauland nicht an diese neue Normalität gewöhnt haben. Ja, elitär. Denn wer volksnah ist, der hat in diesem Land mit Migranten zu tun.
Bundespräsident Frank Walter Steinmeier (SPD) mischte sich freundlicherweise trotz Wahlkampf ein und bezeichnete das alles als „Tiefpunkt der politischen Auseinandersetzung“. Das ist gut gemeint, doch für hier Geborene mit ausländischen Wurzeln gibt es eine lange Reihe solcher Tiefpunkte. Einer davon war Anfang der neunziger Jahre, als der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl nach den rassistisch motivierten Mordanschlägen in Solingen nicht an der Trauerfeier für die Opfer teilnahm, weil er andere wichtige Termine habe und nicht in „Beileidstourismus ausbrechen“ wolle, so sein damaliger Regierungssprecher.
Tiefpunkt NSU
Ein weiterer Tiefpunkt, eine Tiefgerade gewissermaßen, ist die unbefriedigende Aufarbeitung der NSU-Morde und die in der Öffentlichkeit wenig gestellte Frage, wie die Hinterbliebenen nun auch damit noch umgehen sollen. Der tiefste Tiefpunkt wurde jedoch dadurch erreicht, dass nicht einmal die NSU-Mordserie und deren unschuldige Opfer auf deutschem Boden ausgereicht haben, damit sich alle etablierten Parteien einer Integrationspolitik 2.0 verpflichten: Eine Integration, die von echter Teilhabe spricht statt von Sicherheit, Bringschuld und den Ängsten der Mehrheitsgesellschaft.
Die peinlichen Verbalmonstrositäten einiger AfD-Politiker sind nicht das Problem, sondern dass die Etablierten sie so lange überhöhen, bis sich Ausländerfeinde bei ihnen tatsächlich aufgehoben fühlen.
Ich möchte an ein Deutschland glauben, das an seine Zukunft glaubt und sich nicht an vorgestrigen Parolen abkämpft. Angela Merkel, die für den Sommer der Willkommenskultur mitverantwortlich ist, müsste eine Integration 2.0 schon allein deshalb vorantreiben, weil sie Integrationserfolge braucht, damit ihre einsame Entscheidung von damals im Nachhinein nicht als Fehler gewertet wird. Doch wo findet sich im CDU-Wahlprogramm die längst fällige Trennung von Asyl- und Einwanderungspolitik, wo kommt die Notwendigkeit eines Einwanderungsgesetzes zur Sprache? Statt dessen finden sich dort vor allem: Sicherheit, Polizei – Integrationspolitik nach Art des Innenministers Thomas de Maizière eben. Wenn es so weitergeht, dann wird selbst das langweilige Stück „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch wieder brisant.
2017 ist ein Wahlkampfjahr, in dem Donald Trump mit dem Atomkrieg drohen kann. Doch hierzulande erhält noch so ein älterer deutscher Herr, der ins Horn der Ausländerfeindlichkeit bläst, die größere mediale Aufmerksamkeit. Setzen sich die neuen rechten Kräfte, hier und anderswo, eigentlich auch in Sachen Atomstrahlung für ein nationales Grenzschutzprogramm ein? Oder wie weit gehen ihre Versprechen, aus globalen Themen nationale zu machen?
Deutschland ist seit sechs Jahrzehnten ein Einwanderungsland. Vonseiten der etablierten Parteien bräuchte es jetzt endlich eine Politik, die uns alle meint. Ein paar Wahlkampfsätze wie „Unser aller Land. Unsere gemeinsame Zukunft“, unterfüttert mit ernst gemeinten Vorschlägen, diese Gemeinsamkeit zu erreichen. Sehr schwierig ist das eigentlich nicht.
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