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Debatte GlobalisierungskritikNicht neu, aber richtig

Kommentar von Steffen Stierle

Die globalisierungskritische Bewegung hat Probleme. In der Finanzkrise kam weniger als von vielen erwartet. Das liegt auch an den Medien. Und am neoliberalen Mainstream.

Da war Schwung drin: Erster Attac-Kongress im Jahr 2001. Bild: ap

J a, die globalisierungskritische Bewegung hat Probleme. Als sie in den 1990er Jahren aufkam, stand sie mit ihrer Kritik am neoliberalen Globalisierungsmodell im fundamentalen Widerspruch zum Mainstream.

Privatisierung, Liberalisierung und Deregulierung wurden als Ursachen von sozialer Ungleichheit und Umweltzerstörung entlarvt, dem blinden Glauben an die freien Märkte wurde widersprochen, die Alternativlosigkeit neoliberaler Politik widerlegt. Diese Position war richtig und neu. Deswegen hat die Bewegung eine erstaunliche Dynamik erfahren. Richtig ist die Position immer noch. Nur neu nicht mehr.

Spätestens mit der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise ist manche Kritik am Neoliberalismus zum Mainstream geworden. Attac war plötzlich der Akteur, der schon immer vor all dem gewarnt hatte, was nun geschah. Und jetzt, wo auch Schwarz-Gelb die Finanztransaktionssteuer will und die G 20 über Bankenregulierung diskutiert, stellen Journalisten gern die Frage, wozu Attac überhaupt noch gebraucht wird.

privat
STEFFEN STIERLE

STEFFEN STIERLE Jahrgang 1981, ist Ökonom und Mitglied des bundesweiten Koordinierungskreises von Attac. Er lebt in Berlin.

Ganz einfach: Weil all das nichts als fadenscheinige Rhetorik ist. In der politischen Realität wird die Krise genutzt, um den Neoliberalismus in einer Geschwindigkeit voranzutreiben, die zuvor undenkbar war. Die Spardiktate von EU, EZB und IWF in Griechenland, Irland und Portugal sind das beste Beispiel dafür. Deswegen braucht es dringender denn je eine Bewegung, die ein klares "Nein" zum Neoliberalismus artikuliert.

Pluralismus ist unsere Stärke

Eine kritische Auseinandersetzung mit Attac ist hilfreich, um Schwachstellen ausfindig machen und darauf reagieren zu können. Allerdings ist vieles von dem, was Benedict Ugarte vorwirft, falsch beziehungsweise arg verkürzt. So kritisiert er die Pluralität von Attac, die angeblich zu "thematischer Konfusion" führe. Als Beleg führt er an, dass es in Attac Projektgruppen gibt, die sich mit so unterschiedlichen Themen wie sozialer Sicherheit, Welthandel, Gender, Rechtsextremismus, Steuern und Finanzmärkte beschäftigen.

Dabei übersieht er, dass dies nicht willkürlich geschieht, sondern aus dem ganz bestimmten Blickwinkel der Kritik an der neoliberalen Globalisierung. Neoliberalismus hat nun mal viele Folgen, vom Wegfall sozialer Sicherheit über unfaire Welthandelsstrukturen, Benachteiligung von Frauen und Ausländerfeindlichkeit bis hin zu Steuerdumping und spekulativen Finanzattacken.

Ähnlich verhält es sich mit den Kampagnen. Der Autor hält es für diffus, dass in verschiedenen Attac-Kampagnen die Arbeitsbedingungen bei Lidl, die Agenda 2010 und der Börsengang der Bahn kritisiert werden. Mal ehrlich: Ist der Zusammenhang nicht offensichtlich? Natürlich sind sowohl Niedriglöhne als auch Sozialabbau und die Privatisierung öffentlichen Eigentums eine Folge neoliberaler Politik. Eine Bewegung, die die neoliberale Globalisierung kritisiert und Alternativen aufzeigen will, muss pluralistisch aufgestellt sein. Das ist keine Schwäche, sondern eine Stärke von Attac.

Konkrete Gegenentwürfe

Darüber hinaus behauptet der Autor, dass "Gesamt-Attac" zur Finanzmarktkrise inhaltlich nicht mehr zu bieten habe als die Erklärung "Das Casino schließen!" aus dem Jahr 2008. Dabei übersieht er, dass im März 2009 gut 3.000 Menschen beim "Attac-Kapitalismuskongress" über Perspektiven inner- und außerhalb des Wirtschaftssystems diskutierten und dass kurze Zeit später - in einem Plagiat der Zeit - sehr konkrete Alternativvorschläge in hunderttausendfacher Auflage in Umlauf gebracht wurden.

Er übersieht zudem, dass Attac 2010 ein ausführliches Umverteilungspaket vorgelegt hat, das sich als Gegenentwurf zum Sparpaket der Bundesregierung versteht. 2011 folgte das Papier "Das europäische Projekt retten und umgestalten!", dessen Forderungen bei der internationalen Sommerakademie im August in Bewegungsstrategien umgewandelt werden sollen.

Benedict Ugarte meint außerdem, dass Attac zur Bankenkrise nicht viel mehr zustande gebracht habe als ein "öffentlich verhalten aufgenommenes Bankentribunal". Sicher, die öffentliche Resonanz war unbefriedigend. Aber dass viele Medien kaum auf sachliche Kritik, sondern nur auf spektakuläre Aktionen reagieren, ist kein Problem, das nur Attac hat.

Tatsächlich haben viele soziale Bewegungen damit zu kämpfen. Trotzdem war das Bankentribunal ein wichtiges und erfolgreiches Ereignis. Ihm folgte der Bankenaktionstag samt der "Financial Crimes". Sie stellten Verbindungen her, die die Veröffentlichung des Gutachtens zur BayernLB möglich machten, das kürzlich dank einer Hausdurchsuchung bei Attac noch mal viel Aufmerksamkeit erhalten hat.

Wer verbietet Hedgefonds?

Bei all diesen Auslassungen und Fehlern verwundert es nicht, dass auch Benedict Ugartes Fazit fragwürdig ausfällt. Der Ruf nach einer "Generalrevision" macht sich gut in einem angriffslustigen Beitrag. Doch wie die aussehen soll, dazu sagt der Autor nichts. Kein Wunder, kennt er Attac doch gut genug, um zu wissen, dass es immer wieder gut ist für neue und überraschende Wege. Die Parole "Alle kehrt marsch!" allerdings kann in einem stark basisorientierten Zusammenhang wie Attac überhaupt nicht funktionieren - und das ist gut so!

Dass Attac versuche, seine Interessen mit jenen der Herrschenden in Einklang zu bringen, ist zudem eine haltlose Unterstellung. Unsere Forderungen werden ja nicht dadurch falsch, dass sie unter dem Eindruck der Krise von mächtigen Politikern aufgegriffen werden. Und wir Attacies würden uns zu Recht freuen, wenn die Finanztransaktionssteuer tatsächlich eingeführt oder Hedgefonds verboten würden.

Gleichzeitig ist klar, dass eine Bewegung den Widerspruch zum Mainstream braucht. Einen starken Beitrag dazu soll der Kongress "Jenseits des Wachstums?!" leisten. Es geht darum, Ökologie und Soziales endlich zusammenzudenken und politische Strategien zu entwickeln, die verhindern, dass das eine gegen das andere ausgespielt wird. Die eigenen Interessen mit jenen der Herrschenden in Einklang zu bringen sieht anders aus. Denn die pfeifen auf die Umwelt und auf soziale Rechte.

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12 Kommentare

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  • C
    charlotte

    Aufklärung über den neoliberalen Kapitalismus tut gut,

    aber ändert er sich dadurch? Die ganze Wahrheit über ein System, das weder nachhaltig noch solidarisch ist, kann als politische Bildungsarbeit gelobt werden, aber wo ist der nächste Schritt? Ist den Herr Geisler in seiner CDU aktiv geworden, um seine Erkenntnisse aus attac dort umzusetzen? Oder hat er nicht viel mehr einer globalisierungskritischen Idee den letzten Zahn von Veränderungswillen gezogen, weil sie sich geehrt fühlte? Sven Giegold redet in der EU mit und ist die mahnende Stimme. Sabine Leidig hält schlaue Reden im Bundestag. Was aber, wenn die Massen auf der Straße sind, um die Geschichte selbst in die Hand zu nehmen. Wo wird dann attac stehen, hinterm Kopierer?

  • GK
    G. Klement

    Steffen Stierle, seines Zeichens Mitglied des KoKreises von Attac, schießt mit seiner Entegenung ziemlich weit am Thema vorbei. Weder ist die Kritik an der "thematischen Konfusion" wirklich widerlegt, noch geht er auf den Vorwurf der Staatsgläubigkeit ein.

     

    Schade, Attac hätte hier wirklich in einem größeren Rahmen einige Sachen klarstellen können. Dass dies nicht gelungen ist, spricht nicht unbedingt für die Kritikfähigkeit der Attac-Führungsriege.

  • UF
    Ullrich F.J. Mies

    Was Ugarte schreibt, stimmt alles!

    Als ehemaliger Regional-Aktivist, der fast 10 Jahre Mitglied von Attac war, kann ich das nur bestätigen.

     

    Doch das Positive zuerst: Attac hat mit seinen Sommerakademien einen unschätzbaren Beitrag zur Offenlegung der Systemperversionen geleistet und großes Engagement gezeigt.

     

    Aktuell ist die Bewegung eine staatstragende, sozialdemokratisierte Beliebigkeitsveranstaltung ohne Biss und keine Gegenbewegung zum herrschenden Parteiendesaster. Genau so soll es nach den Vorstellungen der Herrschenden selbstverständlich auch sein. Grosso Modo ist Attac von der Arbeitsweise der Parteien und Funktionärsgesellschaften kaum mehr zu unterscheiden, wird vielmehr "von oben" als zahnloser Tiger systemkonform gesteuert. Luschig-braves, parteienkompatibles Personal hat den Zentral-Laden übernommen. Kapitalismuskritsche Positionen werden systematisch ausgegrenzt.

    Wer den Finanzkapitalismus kritisiert und eine Alternative sucht, muss sich auf die Suche nach einem politischen und wirtschaftlichen System jenseits des Kapitalismus machen. Dies steht bei Attac gar nicht auf der Agenda. Das ist das zentrale Problem.

     

    Ein bischen Kritik hier, ein Fahnenschwenken dort. Der "als Basisdemokratie getarnte Pluralismus ist der Tod jeder schlagfertigen und -kräftigen Bewegung.

    Genau so soll es sein!

     

    Ich bleibe dabei: Attac wird "von oben" weichgesteuert, Gewerkschaften und Parteien haben längst die Gefahr kapitalismuskritischer Fundamentalkritik für sich erkannt, der Staasapparat sowieso. Die lassen nichts anbrennen!!!

     

    Steffen Stierles Beitrag hat hier gar nichts geklärt. Die wahren internen Probleme hat er unter den Teppich gefeg, vielleicht will er sie auch gar nicht verstehen.

  • W
    weniglinks

    Frage an den Autor: inwiefern ist eine staatliche Bahn gut? Der Laden wird seit eh schlecht gemanaget und die Probleme baden immer die Fahrgäste und die Steuerzahler aus. WArum also einen Betrieb behalten, der inefizient ist und nicht das Geld für anderes verwenden?

    Das neue Eigentümer den Laden umstrukturieren würden, ist klar. Dass dabei Arbeitsplätze verloren gingen, ebenfalls. Nur ist das kein Grund ein Monopol aufzubauen und sich an den Fahrgäste zu bereichern.

  • V
    Vorp

    Das Kapitalismus/Globalisierungskritische Positionen im Mainstream ankommen konnte, ohne dadurch maßgebende Neuerungen herbeizuführen sollte zu denken geben. Vielleicht sollte man sich mal an einen anderen, weitaus massiveren Konsens wagen: den, dass unsere "freiheitlich-demokratische Grundordnung" die beste aller möglichen politischen Welten sei. Dieser illusionslose "Demokratie"-Konsens, der meint neutral zu sein und doch nur auf eine liberale Vorstellung von Demokratie verkürzt ist, ist es, der dem globalen Kapitalismus die ideale Basis liefert. Und die Illusionslosigkeit zeigt sich umso mehr, als jede Kritik an der Demokratie als Zustimmung zu einem der Totalitarismen gewertet wird, was aber genau in die falsche Richtung zielt. Die parlamentarisch-repräsentative Demokratie sichert nicht mehr als Privatfreiheiten, öffentliche Freiheiten werden nach Möglichkeit unterbunden, bzw nur widerwillig gewährleistet (siehe Stuttgart 21 und der Umgang mit den Demonstranten). Der Konsens, dass eine freiere Welt, eine mit mehr Mitbestimmung für alle über alles, nicht möglich ist, gegen den muss man sich stellen! Politik ist kein Beruf, sondern Angelegenheit aller!

  • EM
    Emil Meid

    Schön, das die FAZ hier Attac eine Gegendarstellung erlaubt. Nur...überzeugen kann dieser Kommentar nicht. Diese 'Wir-sind-wichtig' Gebetsmühle könnte auch von irgendeiner überholten internationalen Organisation aus den 1950ern kommen.

     

    Was Attac bei seiner Gründung hatte, war eine grössere Ansammlung von isoliert betrachtet sinnvollen Thesen.

     

    Und was Attac jetzt ist...ist immer noch das gleiche. Eine echte Weiterentwicklung gab es nicht, ein Gesamtkonzept ebensowenig. Attac ist beliebig geworden, ein Sammelbecken ohne kritische Selbstbewertung.

  • I
    ich-ag

    Mag ja alles sein, aber Attac ist heute so gut wie unsichtbar im öffentlichen Diskurs, und auf der Straße sowieso. Die Öffentlichkeitsarbeit ist also nicht gut, die Ziele und Diskussionen werden überhaupt nicht vermittelt.

     

    Seit mehr als 10 Jahren jammern wir nun über den Neoloberalismus - gab es jemals eine große Demo gegen ihn? Ich meine keine Gewerkschaftsdemo, keine Linkenveranstaltung, nicht den 1. Mai, nicht Demos gegen spezifische lokale Aspekte des N. Ich meine einfach eine/mehrere machtvolle Riesen-Demos gegen den Neoliberalismus. Das kann doch eigentlich nicht so schwer sein.

  • S
    spov

    Als Attac-Mitglied sehe ich die Kommunikationsprobleme von Attac darin, dass viele Mitglieder daraus einen "Gemischtwarenladen" gemacht haben.

    Ressourcen werden nicht mehr auf das Thema Kapitalmarktregulierung fokussiert, sondern lieber Puppen als Mahnwache auf dem Nato-Gipfel in Straßburg umhergefahren. Diese Beliebigkeit ist auch ein Grund, weshalb ich mich im Moment lieber anderweitig aktiv einbringe.

  • TB
    Thomas Bode

    Im Prinzip volle Zustimmung, aber: dass die "Herrschenden" auf Umwelt und Soziales pfeifen, ist eine Formulierung die es leider erschwert dass solche Gedanken breite Zustimmung erhalten. Es scheint mir auch zu undifferenziert.

    Ich glaube schon Henry Ford sagte dass in den USA am gleichen Tag eine Revolution stattfinden würde wo die Menschen das Banken- und Wirtschaftssystem durchschauen. Einen Wandel wird es nur geben wenn es wirklich in den Köpfen der Mehrheit ankommt dass ein gutes Leben anders organisiert werden kann und muss als es derzeit geschieht. Eine Sprache die sie erreicht und ein Denken das nicht zu sehr in ideologischen Schienen läuft ist dafür Voraussetzung.

  • A
    A.Grech

    Bei dem im Artikel demonstrierten ökonomischen Sachverstand ist es kein Wunder, dass Attac ein Problem hat.

     

    Analysen, die immer und überall das neoliberale Denken und Handeln als alleinige Ursache aller Misstände "entlarven" - das hat ungefähr die wissenschaftliche Qualität des Wachtturms der Zeugen Jehovas.

  • W
    Westberliner

    Ich kann dem Kommentator nur zustimmen.

  • B
    berndjoel

    solange attac weiterhin Heiner Geißler als attac-Mitglied toleriert, hat attac ein riesiges Glaubwürdigkeitsproblem. Vielfalt oder Einfältigkeit?