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Debatte GesundheitsreformAgenda der Solidarität

Kommentar von Karl Lauterbach

Die Bürgerversicherung ist ein Kernanliegen von SPD und Grünen. Damit sie Erfolg hat, muss die Mittelschicht darin einen Vorteil für sich erkennen.

So oder so voller Bakterien: Geld. Bild: dpa

D ie Bürgerversicherung ist in ihrer Dimension vergleichbar mit der Agenda 2010 oder dem Ausstieg aus der Atomenergie. In der privaten Krankenversicherung sind fast 9 Millionen Menschen versichert. Sie werden vermutlich größtenteils massive Vorbehalte gegen die Bürgerversicherung haben, weil sie glauben, die Umstellung bringe ihnen nur Nachteile.

Das ist eine größere Gruppe als die direkt von den Hartz-Gesetzen Betroffenen. Und diese Gruppe ist einkommensstärker, besser organisiert und besser in den Medien verankert, als es alle Arbeitslosen Deutschlands je waren. Die Universitätsprofessoren, ein großer Teil der Ärzteschaft, viele Gutachter und Richter, die der privaten Assekuranz geneigt sind, im Süden Münchens wohnende "Wirtschaftsjournalisten" überregionaler Zeitungen und viele Beamte - sie alle werden das Projekt verhetzen, so gut sie können.

Will man diese Reform durchsetzen, muss man Mut und Geschick beweisen, sonst droht ein Desaster. Beachtet werden muss auch, dass es in den eigenen Reihen - sowohl der SPD als auch der Grünen - Skeptiker und Widersacher gibt. Die Skeptiker glauben, das Projekt wäre den Kampf nicht wert oder würde scheitern. Die Widersacher, bis heute noch weitgehend stumm, halten die Bürgerversicherung aus diversen Gründen für falsch und sind, kulturell oder ideologisch, oft nahe an den Lobbygruppen, die das Projekt bekämpfen werden.

Bild: dpa

Karl Lauterbach, Jahrgang 1963, ist Professor für Gesundheitsökonomie und Sozialexperte der SPD. Seit 2005 sitzt er im Bundestag. Bei Rowohlt Berlin veröffentlichte er 2009 das Buch "Gesund im kranken System: Ein Wegweiser".

Eine Idee von der Parteibasis

Was muss also getan werden? Zunächst gibt es auf der Habenseite bereits zwei wichtige Voraussetzungen, die das Projekt von der Agenda 2010 unterscheiden. Im Gegensatz zur Agenda ist der Gedanke der Bürgerversicherung als Vision in der Basis der SPD und der Grünen fest verankert. Es handelt sich nicht um eine Idee der Parteispitzen, sondern der Parteibasis, die zum Teil auch gegen Vorbehalte früherer Parteispitzen von der Basis durchgestimmt wurden.

Niemand käme auf die Idee, die Bürgerversicherung als Idee von Sigmar Gabriel oder Jürgen Trittin zu bezeichnen, obgleich die beiden jetzt an der Speerspitze der Bewegung stehen. Ich würde sogar sagen, dass es neben dem Mindestlohn kein politisches Ziel in der SPD gibt, das so eindeutig und stark von einer jeden zukünftigen SPD-geführten Regierung erwartet würde. Entsprechend hoch ist die Fallhöhe. Jede Glaubwürdigkeit der SPD-Parteispitze wäre verloren, wenn man die Bürgerversicherung später nicht einführen würde. Die Bürgerversicherung ist auch die Möglichkeit der SPD, interne und externe Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen.

Die zweite wichtige Voraussetzung für den Erfolg ist die soziale Spannweite der Bürgerversicherung. Von der Agenda 2010 konnten nur Arbeitslose zu profitieren hoffen. Beim Abbau der Zweiklassenmedizin, der mit der Bürgerversicherung verbunden ist, und der gleichzeitigen Sicherung der finanziellen Basis unserer Krankenversicherung kann die Gruppe der potenziellen Gewinner als sehr viel größer gelten. Die Bürgerversicherung ist ein Projekt der solidarischen Mitte - also von Menschen, die sich in der ökonomischen und politischen Mitte der Gesellschaft befinden, aber im Bereich von Bildung und Gesundheit keine Qualitätsunterschiede nach Einkommen akzeptieren.

Was Grünen-Wähler trifft

Damit die solidarische Mitte die Bürgerversicherung annimmt, muss sie klare Verbesserungen für diese Gruppe mitbringen. Dazu genügt die im Konzept der Grünen ausgewiesene Beitragssatzsenkung von 1,6 Prozent allein nicht, zumal diese in erster Linie nur durch eine Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze erzielt wird, die viele Wähler der Grünen hart treffen wird. Notwendig ist eine gleichzeitige Lösung wichtiger Strukturprobleme in unserem System.

Das Konzept der Bürgerversicherung der SPD, das gerade von einer Arbeitsgruppe um Andrea Nahles entwickelt wird, sieht daher vier Strukturreformen vor: die Neufinanzierung und -organisation der Prävention in Schulen und Betrieben, die Vermeidung eines Hausärztemangels, den Ausbau der Krankenhauspflege und eine Senkung der Arzneimittelpreise auf das europäische Durchschnittsniveau. Eine bessere und gerechtere Finanzierung eines insgesamt ineffizienten Systems wäre nicht vermittelbar.

Gleichzeitig müssen Hausärzte und Pflegekräfte auch als Verbündete für die Reform gewonnen werden. Eine Bürgerversicherung kann gegen ihren Widerstand nicht durchgesetzt werden. Vor der Zwangseinbeziehung der jetzt bereits privat Versicherten, die die Grünen fordern, ist zu warnen. Strittig ist erstens, ob dies juristisch überhaupt möglich ist. Zweitens wäre die Bürgerversicherung zu leicht als Enteignungsprojekt verhetzbar. Gerechter wäre es, den Altversicherten der PKV innerhalb einer Frist eine Option zum Übertritt zu gewähren. Da jeder sich dann entscheiden könnte, gäbe es kein Unrecht.

Keine Nivellierung nach unten

Die bestehende Zweiklassenmedizin muss man beseitigen, indem die Honorarsysteme der Krankenhäuser und Ärzte zwischen PKV und GKV vereinheitlicht werden. Dabei ist der Eindruck einer Nivellierung nur nach unten unbedingt zu vermeiden; auch hier hat das Konzept der Grünen noch Schwächen. Und schließlich muss die Erhebung anderer Einkommen gleichzeitig unbürokratisch sein und einen positiven Impuls für den Arbeitsmarkt bringen.

Wenn die Erhebung anderer Einkommensarten unbürokratisch sein soll, ist die Verbeitragung durch die Krankenkassen als Quasifinanzämter keine brauchbare Lösung, es muss also mit einer Steuerkomponente gearbeitet werden. Und einen Impuls für den Arbeitsmarkt kann es nur dann geben, wenn sich durch das Konzept die Abgabenlast in der Summe von Steuern und Abgaben bei Geringverdienern mit regulären Arbeitsplätzen verringert, sodass ein Anreiz entsteht, von der prekären zur regulären Beschäftigung zu wechseln.

Die Bürgerversicherung muss es schaffen, dass gerade bei Geringverdienern mehr Netto vom Brutto bleibt. Nur wenn das Konzept der Bürgerversicherung als gerecht, effizient, fördernd und unbürokratisch besticht, ist es gegen den massiven Widerstand, der erwartet werden muss, durchzusetzen.

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33 Kommentare

 / 
  • E
    ermel

    Hallo, tea for two!

     

    Bedeutet dein Kommentar, dass Du als Beamter lieber

    in der GKV wärest als im Beihilfe-System?

     

    Wenn das so sein sollte, könntest Du dafür auch

    im DBB ein wenig Werbung machen?

  • TF
    tea for two

    Mal kurz was zu den Beamten: Ich bin im Beamtenverhältnis. Beihilfe zahlt 50 % (wo gibt es die 65-75 %?), für die weiteren 50 % bin ich privat krankenversichert. Die Beihilfe zieht von jeder eingereichten Rechnung 6 Euro und pro Rezept 3 Euro ab. Das ist der Eigenanteil. Die private Krankenversicherung hat dieses Jahr wieder im 2stelligen Eurobereich erhöht. Kleinere Rechnungen und Rezepte werden von mir gleich bezahlt, größere eingereicht, dann wird geschaut, was wann von Beihilfe und Krankenkasse überwiesen wird und welche Rechnung fällig ist. Buchhaltung ist angesagt. Frage mich nur, wie ich das noch auf die Reihe kriegen soll, wenn ich alt bin mit all den Folgen.

  • V
    vic

    "Harry" hält es für selbstverständlich, dass man für mehr Geld auch mehr und bessere Gesundheit kaufen kann.

    Als ob Gesundheit eine Ware wäre.

    Warum, lieber Harry, warum wollen wir Gesundheit nicht gleich an der Börse handeln?

     

    Sind wir wirklich schon so amerikanisiert, dass uns alle, denen es warum auch immer nicht so gut geht, scheißegal sind?

  • B
    Blacky

    Bei den PKV-Versicherten sollte man der Ehrlichkeit halber trennen, die Beamten sind nur mit einem Teil in der PKV. Die Beihilfe zahlt in der Regel zwischen 65 und 75%, den Rest bis höchstens 100% die PKV. Gerade bei den Beamten des einfachen und mittleren Dienstes mit kleinem Gehalt wäre die gesetzliche Krankenkasse eine vernünftige Lösung, da die Vorauszahlungen heute häufig mehr als das Monatseinkommen betragen. Aber es ist berechnet worden, Bund. Länder und Gemeinden müßten erheblich mehr in die gesetzliche Krankenkasse als Arbeitgeberanteil einzahlen als sie die Beihilfe kostet. Deshalb sind sie dagegen und werden es auch bleiben. Dazu käme die Übergangszeit mit beiden Regelungen, die ungefähr das Doppelte kostet. Auch das wird als Argument kommen.

  • H
    hto

    G. H.: "... ... ob er das Wort auch kennt, ..."

     

    Aber klar, denn ASOZIAL ist alles was nicht SPD ist!?

  • B
    Blödsinn

    Was bin ich froh das ich bald privat versichert bin! Na klar ist das unsolidarisch, ect. Na und?

  • H
    Harry

    „Zweiklassenmedizin“ soll dadurch verhindert werden, dass unterschiedliche Vergütungen von Gesundheitsleistungen zwischen PKV und GKV abgeschafft werden. Das bedeutet wohl staatlich verordnete Einheitspreise für alle Leistungen in der Medizin, unabhängig von der Krankenkasse. Vertragsfreiheit wird staatlich abgeschafft. Es gehört übrigens ein hohes Maß an Blauäugigkeit dazu, ein System zu erwarten, in dem man nicht mit mehr Geld auch mehr Leistungen kaufen kann. Allenfalls könnte erreicht werden, dass sich das Geld die gewünschten zusätzlichen Leistungen im Ausland kauft.

     

    Was die Leistungen der Einheitsversicherung angeht, sagt Karl Lauterbach: „Dabei ist der Eindruck einer Nivellierung nur nach unten unbedingt zu vermeiden“. Das heißt dann wohl, dass die Leistungen besser werden sollen. Gleichzeitig sollen aber die Kosten begrenzt werden. Das wird schwierig werden.

     

    Akzeptanz für die Bürgerversicherung soll auch geschaffen werden durch eine Reihe von Verbesserungen in ärztlicher Versorgung, Prävention und Senkung der Arzneimittelpreise. Alles das ist sehr wünschenswert und wurde und wird immer wieder von den verschiedenen Regierungen bearbeitet. Nur hat das mit der Struktur der Versicherungen und mit der sozial gerechten Gestaltung der Beiträge rein gar nichts zu tun.

     

    Noch eine Anmerkung zu dem immer wieder gebrachten Argument, dass nur eine direkte Einzahlung der Arbeitgeber in die Krankenkasse als solidarisch bezeichnet werden kann. Hier wird systematisch Volksverdummung betrieben. Erstens gibt es eine große Zahl von Bürgern, die keinen Arbeitgeber haben. Wenn für die anderen der Arbeitgeberanteil der Krankenkassenbeiträge, der für den Arbeitgeber ohnehin zu den Arbeitskosten gehört, an den Arbeitnehmer ausgezahlt wird und von diesem dann an seine Krankenkasse gezahlt wird, ist das System keinen Deut weniger solidarisch. Ich vertraue darauf, dass im Fall einer Abschaffung des Arbeitgeberanteils sowohl Gesetzgeber als auch Gewerkschaften dafür sorgen werden, dass die Arbeitgeberbeiträge wirklich auf die Gehälter aufgeschlagen werden.

     

    Noch eins fällt mir auf: Wesentliche Elemente der Bürgerversicherung sind Einbeziehung aller Einkommensarten und die Verwendung einer Steuerkomponente für den sozialen Ausgleich. Sind das nicht Elemente, die auch in dem als „Kopfpauschale“ verhetzten Modell der schwarz-gelben Koalition vorkommen? Vielleicht sind sich die Parteien näher als allgemein vermutet.

  • IN
    Ihr Name Wächter

    Es wäre wünschenswert, wenn Grüne und SPD tatsächlich für die Bürgerversicherung wären. Aber es war und ist ein Vorschlag der LINKEN. Und genau aus diesem Grund hat es Rot-Grün schon des öfteren versäumt, der Bürgerversicherung zuzustimmen. Entweder hat Herr Lauterbach ein Selbstwahrnehmungsproblem, ein Problem mit der Wahrnehmung der Realität- oder er lügt. Hoffentlich irre ich mich in allen drei Fällen.

    Die unüblicherweise vielen Kommentare auf diesen Artikel sind allerdings erfreulich. Das zeugt von regem Interesse. Leider ist dieses Interesse nicht in der Bevölkerung verankert. Sonst hätte man sich mit den unseligen Terrorwarnungen nicht von der Röslerschen Gesundheitsreform ablenken lassen.

  • B
    borros50

    Wie immer :

    könnte, sollte, müßte...........

    wie wäre es dem dummem Bürger einfach einmal zu erklären was und wie es tatsächlich sein wird????Fakten, Beispiele und nicht immer das herumgeeiere!!

  • W
    Wolfgang

    Wer im bestehenden Gesellschaftssystem auf eine neue Quandtsche Regierung wartet, der wartet umsonst. Im Hundtschen Kapitalismus gibt es keine Emanzipation und Solidargemeinschaft.

    Trotz alledem, Kopf aus den differenzierten 'Bild'ungssand ziehen.

  • GN
    Guido Nierhauve

    Herr Lauterbach hatte 12 Jahre Zeit. Aber dieses Geschwurbel in dem Artikel beweist, was der sagt, versteht kein Schwein. Er selbst bestimmt auch nicht. Er sollte mal üben, um seine Meinung in 1:30 klar darzulegen.

  • B
    Bitbändiger

    Ich bin sehr gespannt, ob die Roten und Grünen es diesmal schaffen, ein schlüssiges Gesamtkonzept zu erarbeiten, den mafiösen Pressionen der Lobby zu widerstehen und auch den freiwilligen oder zwangsweisen (Selbständige, Beamte) Kunden der PKV akzeptable Angebote für eine Rückkehr oder einen Eintritt in die Solidargemeinschaft zu machen.

     

    Wichtig wäre es, schon jetzt (ehe sich da etwas verfestigt) zu verdeutlichen, dass der dreiste Raubzug, den Rösler & Komplizen jetzt gerade gegen die Versicherten und zugunsten der Konzernprofite initiieren, nach einem Regierungswechsel keinen Bestand haben wird.

  • GH
    G. H.

    Herr Lauterbach nimmt für uns hier das Wort "Solidarität" in den Mund ... ob er das Wort auch kennt, wenn er mit seinen Kumpels im Aufsichtsrat der Röhnkliniken wieder mal Krankenhäuser aufkauft und die Mitarbeiter dann zu niedrigstlöhnen übernehmen lasst?

  • M
    MedienOrakel

    Mich überzeugen die Ausführungen von Herrn Lauterbach nicht. In dem Text sind keine substanziellen Informationen.

     

    Bürgerversicherung oder unser Gesundheitssystem geht unter, nimmt wirklich niemand mehr ernst. Wenn die Reform aufkommensneutral gestaltet werden soll, ändert sich schliesslich nichts an den Ausgaben.

     

    Wenn dies zu weniger Einnahmen für die Ärzte führt, wird es wirklich lustig. Die Macht der Ärzte hat man schon bei den letzten Tarif- bzw. Honorarverhandlungen gesehen.

     

    Herr Lauterbach hat eine Ideologie, die er irgendwie durchsetzen möchte. Ehrlich wäre es, wenn er den Deutschen sagen würde, das die Gesundheit in diesem Umfang nicht zu finanzieren ist. Die Absurdität der Vorstellung, dass die gesetzlich Krankenversicherung für 73 Mio., die sowieso schon mit Steuergeldern subventioniert wird, nun durch den Mehrbeitrag von 9 Mio. saniert wird, ist einfach unbeschreiblich.....

     

    Der jetzige Artikel scheint vielmehr wie ein Hilferuf, da er sich eingestehen muss, dass selbst Rot / Grün nicht mehr hinter dieser "Vision" stehen.

     

    Die Lösung zur Sanierung des Systems ist eine Verringerung der Ärzte und der Krankenhäuser und eine radikale Einschränkung der HighTech-Medizin. Diese Wahrheit ist aber politischer Selbstmord und äußerst unpopulär.

  • IN
    Ir NAme

    "das Konzept die Abgabenlast in der Summe von Steuern und Abgaben bei Geringverdienern mit regulären Arbeitsplätzen verringert, sodass ein Anreiz entsteht, von der prekären zur regulären Beschäftigung zu wechseln. "

     

    Was für ein Sozial-Arschlöchriger Standpunkt! Wir wählen also freiwillig unsere prekäre Beschäftigung aus?!

    Es fehlt an Ansätzen, wie "mehr nutto vom bretto"?

  • TB
    Thomas Bode

    Ein interessantes Problem wird hier thematisiert: dass die, denen es dreckig geht, eine Minderheit sind, ohne Einfluss. Und daher nicht absehbar ist, wie es jemals wieder größeren, sozialen Fortschritt, für diese geben soll.

    So lange sie eine zahlenmäßige Mehrheit waren, wie es in der Vergangenheit der Fall war, sieht das anders aus. Aber mittlerweile gibt es so etwas wie eine "Polyarchie", eine Mehrheit die tatsächlich, oder eingebildet, zu den Gewinnern gehört. Wenn die nicht aus freien Stücken etwas vom Kuchen abgeben, bleibt's bei Stagnation.

  • E
    ermel

    Die größte Gruppe der Privatversicherten sind Beamte, Pensionäre und ihr Anhang. Ein wesentlicher Schritt in Richtung Bürgerversicherung wäre es deshalb, die "Beihilfe" (quasi der Arbeitgeberanteil an den Krankheitskosten) abzuschaffen. Im Beihilfesystem versichert sich der Beamte privat, und der Steuerzahler zahlt seine Krankheitskosten, wobei die Ärzte das zwei- bis dreifache der Gebühren für einen Kassenpatienten abrechnen. Auf Kosten des Steuerzahlers! Die Beihilfe zahlt von der Arztrechnung nicht nur 50 % wie der Arbeitgeber für seinen Arbeitnehmer, sondern bis zu 80 %.

    Mit der Abschaffung der Beihilfe, die mit einfacher Mehrheit in den Parlamenten möglich ist, werden zwei Fliegen geschlagen: Estens ein unumkehrbarer Einstige in die Bürgerversicherung und zweitens erhebliche Einsparungen für den Steuerzahler (rd. fünf Milliarden Euro im Jahr).

    SPD, Grüne und Linke hätten das längst durchsetzen können, etwa in Berlin, Rheinland-Pfalz, Meckpomm, NRW, auch im Bund bis 2005. Warum ist das nicht geschehen? Angst vor der Beamtenlobby?

  • N
    neeOder

    "Von der Agenda 2010 konnten nur Arbeitslose zu profitieren hoffen."

     

    Ähm wie bitte? Weil sie jetzt mit Hartz4 viel weniger Geld zum Ausgeben haben? Weil eine ganze Reihe von Jobs durch 1-Euro Jobber ersetzt wurden (z.B. städtische Landschaftspflege)?

     

    Bin ja mal gespannt was von dieser Gesundheitsreform übrig bleiben wird, wenn sie denn überhaupt umgesetzt wird.

  • H
    hto

    Es muß nicht nur die zeitgeistlich-reformistische Zweiklassenmedizin beseitigt werden - für ein geistig-heilendes Selbst- und Massenbewußtsein in reiner Vernunft, für ein wahrhaftiges Zusammenleben OHNE die systemrationale Überproduktion von konfusioniertem Kommunikationsmüll in "Sozial"-Versicherungen, Steuern zahlen, usw.: das GLOBAL bedingungslose MENSCHENRECHT auf Nahrung, Wohnen und Gesundheit, mit allen daraus MENSCHENWÜRDIG resultierenden Konsequenzen / Möglichkeiten!?

     

    In der "Agenda der Solidarität" sehe ich die Agenda der gutbürgerlich-gebildeten Suppenkaspermentalität auf systemrationaler Sündenbocksuche, damit das System von "Wer soll das bezahlen?" und "Arbeit macht frei" auch weiterhin so heuchlerisch funktioniert.

  • FF
    Franz Ferdinand

    Wo sehen Sie Herr Lauterbach eigentlich den größten Widerstand? Ich denke niemand der versichert ist, hat etwas dagegen weniger Beiträge zu zahlen. Und auch die Idee der Solidarität gegenüber anderen Versicherten ist jedem zu erläutern.

     

    Ich persönlich möchte aber nicht für den privaten Luxus anderer bezahlen, bei jeder Erkältung zum Arzt zu gehen, Placebo-Produkte zu benutzen oder gar Homöopathie anzuwenden.

     

    So unterschiedlich die körperlichen Voraussetzungen sind, kann jeder ein "so gut wie möglich" in seinem persönlichen Gesundheitsverhalten erzielen. Das bessere Verhalten sollte belohnt werden. Darüber hinaus sehe ich kein Potential für Wettbewerb unter Versicherten.

     

    Ist es nicht so, dass wir viel zu viel versichern? Alles was mich nicht mehr als x-hundert Euro kostet muss mir niemand versichern. Eigentlich muss doch nur versichert werden, was niemand selbst mehr schultern kann bzw. dieses Schultern zu sehr einschränkt. Das x in der Rechnung kann man sicher nach Bedürftigkeit anpassen, aber z.B. 200 € im Jahr werden die meisten Menschen noch selbst aufbringen können.

     

    Mich überzeugt Ihr Ansatz nicht, das Scheitern des Systems auf alle Versicherten-Schultern umlasten zu wollen. Dadurch wird es nicht repariert. Was wir Versicherten benötigen ist mehr Wettbewerb unter Apothekern, Ärzten, Versicherern und Pharma-Herstellern.

     

    - Warum gibt es keine Apotheken-Ketten?

    - Warum tun wir so als würden Dienstleistungen besser/günstiger wenn wir diese nach mittelalterlichen Stände-Wesen rationieren?

    - Wäre der Markt frei, wären schon längst Ärzte in die ostdeutschen Mangelregionen gezogen um die Marktlücke zu füllen.

    - Warum unterscheiden wir überhaupt zwischen PKV und GKV?

    - Warum lassen wir Medikament-Patente einen funktionierenden Markt verhindern?

  • M
    MTF

    Ich wähle Grün, bin privatversichert und sehr unglücklich. Jedes Jahr wird's teurer...die Ärtzte sehen in Dir nur die Melkkuh. Ja zu Bürgerversicherung!

  • TB
    Thomas Bode

    Es gibt immer zwei Aspekte bei solchen Themen: den ethischen und den handwerklichen Aspekt.

    Diese eigentlich geringe Komplexität, reicht aber offenbar schon aus, um in der Debatte die Öffentlichkeit benebeln, und verwirren zu können. Weil natürlich immer ALLE behaupten ein gerechtes System schaffen zu wollen.

    Wenn man das aber WIRKLICH will, und Herr Lauterbach ist leider einer der wenigen "Prominenten" denen man das abnimmt, geht es nur noch darum wie man das politisch und ökonomisch sauber hinkriegt. Das wird hier in verschiedene Richtungen durchdacht. Ob jeder einzelne Punkt genau so stimmt ist dabei gar nicht entscheidend. Denn das lässt sich nachjustieren.

    Entscheidend sind Wille und Einsicht, im Hinblick auf eine Erneuerung von Solidarität, und eine Planung die so sorgfältig ist wie erforderlich.

    Man kann nur hoffen dass die Kraft dieser Argumente und der Wille, sich durchsetzen gegen diese unglaublich zähe, und effiziente Lobby-Republik der (Einfluss-)Reichen.

  • K
    Katev

    Was die Agenda 2010 angeht, ist Lauterbach mit den Wirtschaftsjournalisten aus dem Münchener Süden doch völlig im Einklang.

  • RS
    rainer smieskol

    herr lauterbach ist für sozialismus pur - das hatten wir schon einmal und wurde durch "wir sind das volk" glücklicherweise beendet - herr lauterbach ist ein blender und ein hetzer : das zweiklassensystem abschaffen - welch ein blödsinn - dann müsste die abschaffung aller zusatzversicherungen damit einhergehen, denn derjenige der sich erweiterten und besseren versicherungsschutz verschaffen kann wird dies auch tun - auch die grünen mit ihren neuen plänen und dumm dreisten versprechungen verarschen die bürger und spielen die bevölkerungsgruppen zum stimmenfang gegeneinander aus - wenn erstmal der grösste teil der bevölkerung an der sozialnadel hängt - dann hat die dealerpartei gewonnen - der arme gesundheitsminister rössler wird dann wieder den kopf hinhalten müssen :-) rainer smieskol

  • R
    robert

    Herr Lauterbach verschweigt beharrlich, dass Die Linke auch an einer Bürgerversicherung arbeitet.

  • S
    Solounternehmer

    in Dänemark gibt es eine Art Bürgerversicherung, organisiert wird diese über die Kommunen, dort befindet sich die Verwaltung. Das besondere am dänischen Modell ist eben, dass dort auch Selbständige profitieren, da diese eben auch Krankengeld und andere Leistungen erhalten, welche sie in DE selbst versichern müssen, oftmals mit negativen Folgen: Es gibt vermehrt Soloselbständige, Werkvertragsarbeitnehmer, Freelancer und andere Gruppen, die sich in DE diese teuren Versicherungen nicht leisten können. Wenn sie mit ihren Unternehmugen scheitern und im Hartz-IV landen, geraten sie durch zu teure Krankenversicherungen sofort in die Verschuldungsfalle.

     

    der Aspekt der höheren Sicherheit in Dänemark macht eine Gesellschaft eben auch flexibler, weil man immer die Grundversorgung gewährleistet hat, ebenso die Versicherung der Familienangehörigen. Dadurch kann man eher mal unternehmerisch tätig werden, ohne gleich den Totalabsturz erleben zu müssen.

     

    alles in allem erhalten die jetzig Privatversicherten ja dann auch Leistungen, die sie im privaten System teuer zusätzlich aufbringen müssen.

     

    und wenn Ärtze jetzt für Privatpatienten 2,5fachen Satz abrechnen dürfen oder ähnliches, kann man ja einkommensneutral den Satz so vereinheitlichen, dass unterm Strich eben der gleiche Betrag rauskommt - wo ist das Problem?

  • O
    opethbass

    Ich will den Artikel auf wenige Zeilen zusammenfassen:

     

    Die Bürgerversicherung ist wichtig und trägt großes Potenzial. Aber die Früchte hängen hoch, weil

     

    1. Die Reform fachlich schwierig ist

    2. Starke Lobbygruppen dagegen sein dürften

    3. Das Politische Risiko für SPD und Grüne immens ist.

     

    Mich interessiert jetzt ein Grundlagenartikel über die Vorschläge von SPD und Grüne, um mir eine Meinung bilden zu können - danke für den Einstieg in das Thema mit diesem Artikel

  • E
    EnzoAduro

    Ich finde die Bürgerversicherung eine richtig schlechte Idee. Denn hier werden doppelstrukturen geschaffen die sinnlos sind.

     

    Man sollte folgendes tun

     

    1) Den aktuellen Soli preist man in die Steuersätze ein

    2) keiner zahlt Krankenkassenbeiträge mehr.

    3) Man erhebt einen Soli für die Krankenkasse.

    4) Um die Umverteilung nicht ausarten zu lassen, senkt man den Freibetrag, so das wieder mehr Steuern zahlen. Nicht so stark wie es heute bei (Steuern+Krankenkasse) ist aber auch nicht so wie wenn man auf 4. verzichten würde

     

    Dann hätte man

    -einigermaßen Transparenz über die Kosten

    -Die kleinen Einkommen etwas Entlastet

    -Mehr Menschen als Einkommenssteuerzahler, was psychologisch wichtig ist*

    -Keine Doppelstrukturen

     

    *Heutige Niedrigverdiener verhalten sich ohnehin solodarisch da sie kaum etwas von den Krankenkassenbeiträgen abrufen. Denn ca. 90% von den Kosten werden im letzten Lebensjahrzeht erbracht. Aber hierzulande ist man eben nur "Leistungsträger" wenn man Einkommenssteuern zahlt.

     

    PS: Privatversicherte erhalten eine Fixsumme als Beihilfe gutgeschrieben. Den Soli müssen sie trotzdem bezahlen. Nach einer erfolgreichen Gesundheitsprüfung dürfen Sie in die GKV zurück. Selbstständige können in die Krankenkasse, ihre Beiträge erhebt ja ohnehin das Finanzamt.

  • L
    Luzifer

    Herr Lauterbach, Sie bleiben was Sie sind. Ein Lobbyist. Wie wäre es, wenn Sie mal inhaltlich erklären, was so toll an der Bürgerversicherung sein soll? Stattdessen klären Sie viel lieber, wie man diese Reform der Bevölkerung unterjubeln könnte.

  • S
    Swanni

    "In der privaten Krankenversicherung sind fast 9 Millionen Menschen versichert. Sie werden vermutlich größtenteils massive Vorbehalte gegen die Bürgerversicherung haben, weil sie glauben, die Umstellung bringe ihnen nur Nachteile."

     

    Das glauben sie wohl nicht zu unrecht, in der gesetzlichen Versicherung erhält der Versicherte nun mal weniger Leistungen für höhere Beiträge.

  • JG
    Juergen Gojny

    Die öffentlichen Versicherungen sind ein schwarzes Loch. Die Ökos sollen scharf aufpassen, daß sie darin und ihr Unhang schwupp-di-wupp verschwinden.

  • DP
    Dr. Peter Lintzen

    Immer wieder köstlich, die Beiträge des Kabarettisten Karl Lauterbach: ein Projekt wird verhetzt, eine Idee ist deshalb gut, weil sie von einer Parteibasis ersonnen wurde, Unrecht wird auch abgeschafft und zum Schluss bleibt sogar noch mehr Netto vom Brutto ...

    Der Typ ist einfach zum kaputtlachen!

  • A
    andromedar

    Ihre Überschrift macht mich wütend, denn die Grünen und SPD haben ihr soziales Gewissen ja erst vor kurzem wiedergefunden. Bei den LINKEN war die Bürgerversicherung schon IMMER ein Kernanliegen!

    Sollte eine Zeitung nicht "neutral" berichten??