Debatte Geheimdienste: Zum Schutz der Bürger
Die Arbeit der Geheimdienste wird immer schwerer kontrollierbar. Deshalb müssen wir dringend einen Beauftragten des Bundestages für die Nachrichtendienste bekommen.
M it der gefühlten Sicherheit ist es in Deutschland seit einer Weile vorbei. Spätestens die geplanten Kofferbombenanschläge im Juli 2006 und die Festnahmen der homegrown terrorists im Sauerland im September 2007 haben uns allen vor Augen geführt, dass eine konkrete Gefährdung besteht.
Die veränderte Sicherheitslage ist nicht ohne Auswirkungen auf die Architektur der Sicherheitsbehörden geblieben, weltweit und auch in Deutschland. Die Nachrichtendienste, besonders der Bundesnachrichtendienst (BND) und das Bundesamt für Verfassungsschutz, wurden mit zusätzlichen Stellen, Kompetenzen und finanziellen Mitteln ausgestattet. Die gesetzlichen Grundlagen für die Erhebung und Speicherung personenbezogener Daten wurden geändert.
Außerdem kooperieren die Nachrichtendienste heute in einer Weise - sowohl untereinander als auch mit anderen Behörden -, die früher nicht vorstellbar gewesen wäre, zum Beispiel im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum (GTAZ). Auch haben sich die deutschen Dienste international stärker vernetzt. Darüber hinaus hat der BND im Rahmen der zunehmenden Auslandseinsätze der Bundeswehr weitere Aufgaben erhalten und das bisher selbstständige Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr übernommen. Eine Organisationsreform wird die traditionelle Trennung zwischen Beschaffung und Auswertung von Informationen weitgehend aufheben.
Vielen gehen diese Entwicklungen zu schnell und zu weit, anderen wiederum gehen sie nicht weit genug. Besonders Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble versteht sich als Antreiber: Er hat sich unter anderem für den Einsatz der Bundeswehr im Inneren ausgesprochen und will die Onlinedurchsuchung als Fahndungsinstrument durchsetzen. Auf dem Jahressymposium des BND hat Schäuble jüngst die klassische Trennung zwischen dem Völkerrecht in Friedens- und in Kriegszeiten in Zweifel gezogen.
Beobachter wie Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung kritisieren einige von Schäubles Vorstößen als Versuche, eine Art "Feindstrafrecht" einzuführen. Richtig ist: Es gehört zu den zentralen Aufgaben des Staates, dass er seinen Bürgern innere und äußere Sicherheit gewährleistet. Es stimmt auch, dass der Staat auf gesellschaftliche und technologische Veränderungen und eine neue Gefahrenlage reagieren muss, um dieser Aufgabe gerecht zu werden. Doch die Stärkung staatlicher Handlungsfähigkeit muss mit einer Stärkung demokratischer Kontrolle einhergehen.
In der Diskussion über das Wechselverhältnis von Sicherheit und Freiheit wird meist übersehen, dass dem demokratischen Prozess bei der Vermittlung zwischen diesen Werten eine zentrale Rolle zukommt. Ein wehrhafter Staat ohne demokratische Kontrolle wäre ein illegitimer Staat. Die Bundesrepublik als "wehrhafte Demokratie" muss beides sein: wehrhaft und demokratisch.
Doch: An der Funktionalität des bestehenden Modells zur Kontrolle der Sicherheitsbehörden gibt es berechtigte Zweifel. In den meisten Fällen geschieht die demokratische Kontrolle erst hinterher und dient mehr der nachträglichen Legitimation als der laufenden Überprüfung. Mehrere öffentlich bekannte Vorgänge belegen Defizite bei der Kontrolle der Nachrichtendienste: die Beobachtung von Journalisten durch den BND, die Führung von Quellen in der rechten Szene durch die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern, die Bewertung der Gefährdung von Murat Kurnaz oder die Beobachtung von Abgeordneten der PDS.
Wie der BND-Untersuchungsausschuss einmal mehr gezeigt hat, besteht ein ausgeprägtes Misstrauen zwischen Parlament und Regierung, was den Umgang mit vertraulichen Unterlagen und Angelegenheiten angeht. Die Abgeordneten der Regierungskoalition stehen dabei vor einer schwierigen Doppelaufgabe: Einerseits haben sie in den Kontrollgremien des Parlaments die Aufgabe, "ihre" Regierung zu stützen; andererseits müssen sie als Vertreter des Parlaments eine effektive Kontrolle ihrer Aufsicht über die Nachrichtendienste gewährleisten.
Wie alle Exekutivorgane interpretieren die in der Bundesregierung, die die Fachaufsicht über die Nachrichtendienste des Bundes führen, die Arbeit des Parlaments nicht selten als Eingriff in den Kernbereich der exekutiven Verantwortung. Anfragen und Informationswünsche werden entsprechend zurückhaltend behandelt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Arbeit der Nachrichtendienste naturgemäß im Verborgenen geschieht und damit die Kontrollfunktion der Medien entfällt. Die Öffentlichkeit muss sich also darauf verlassen können, dass das Parlament seiner Kontrollaufgabe gerecht wird, ohne dies selbst nachprüfen zu können.
Neben diesen grundsätzlichen Problemen stellt sich die Frage, wie effektiv die parlamentarische Kontrolle derzeit organisiert ist. Der Bundestag wählt aus seiner Mitte die Mitglieder der beiden Kontrollgremien, die die Arbeit der Nachrichtendienste begleiten: das Parlamentarische Kontrollgremium und das Vertrauensgremium. In den Sitzungen beider Gremien geht es im Wesentlichen um Berichte der Dienste und der Bundesregierung. Im Grunde bestimmen also die zu Kontrollierenden selbst die Agenda.
Doch nicht nur die parlamentarischen Gremien sind in ihren Kontrollmöglichkeiten eingeschränkt. Auch die zuständigen Ressorts der Bundesregierung können angesichts der Zahlenverhältnisse keine umfassend Fach- und Rechtsaufsicht gewährleisten: Im Kanzleramt führt eine rund dreißigköpfige Abteilung die Aufsicht über den BND mit seinen rund 6.000 Mitarbeitern. Im Innenministerium hat die Abteilung öffentliche Sicherheit, in der rund 80 Mitarbeiter beschäftigt sind, unter anderem die Aufgabe, das Bundesamt für Verfassungsschutz mit seinen etwa 2.500 Mitarbeitern zu steuern und zu kontrollieren.
Trotz der Ungleichgewichte zwischen Kontrolleuren und Kontrollierten sind es Regierung und Parlament, die sich gegenüber der Öffentlichkeit für die Arbeit der Nachrichtendienste verantworten müssen. Angesichts der wachsenden Befugnisse der Sicherheitsbehörden wächst auch das Erfordernis einer effektiveren parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste.
Deshalb könnte die Arbeit der Gremien zur Kontrolle der Nachrichtendienste durch einen gewählten Beauftragten des Bundestages ergänzt werden. Dieser wäre dann die zentrale und kontinuierliche Anlaufstelle, etwa auch für Beschäftigte der Nachrichtendienste. Zudem könnte er mit einem eigenen Stab auch die Gremien, die ihm gegenüber weisungsberechtigt wären, in ihrer Arbeit unterstützen. Bis zur Schaffung dieses Amtes sollte ein gemeinsames Sekretariat von Parlamentarischem Kontrollgremium und Vertrauensgremium geschaffen werden.
Jede Stärkung der parlamentarischen Kontrolle ist ein Beitrag zur Verbesserung der inneren und äußeren Sicherheit unseres Landes. Um Gefahren abwehren zu können, brauchen wir effiziente und demokratisch kontrollierte Nachrichtendienste.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!