Debatte Feminismus und Islam: Der ewig reizbare Mann
Dass Frauen sexy sein dürfen, ist ein feministisches Grundanliegen. Mit Chauvinismus hat das nichts zu tun.
![](https://taz.de/picture/323909/14/minirock-juttaschnecke_01.jpg)
E ine Mehrzahl der Abstimmenden hat eine Vorlage der fremdenfeindlichen, bibeltreuen, homophoben Eidgenössischen Demokratischen Union passieren lassen, wonach in der Schweiz der Bau von Minaretten verboten wird. Das Ergebnis zeigt, dass die Rechten absahnen, wenn diffuse Ängste vor "Überfremdung" nicht im offenen und freien Diskurs bearbeitet werden.
Angeblich haben viele Frauen, ja sogar Feministinnen dem Minarettverbot zugestimmt. Heißt das, dass diese Stimmbürgerinnen rechtsextrem sind? Ja, sagen Ursula Müller und Birgit Rommelspacher in der taz, viele Feministinnen seien dank ihres "Feindbilds Islam" von Rechten nicht mehr zu unterscheiden.
Kann es aber sein, wie u. a. Helke Sander vermutet, dass diese Frauen einem Unbehagen Ausdruck verliehen haben, für das sie in ihrem "angestammten" linken oder liberalen Milieu kein Ventil mehr zu haben glauben? Kann es sein, dass es ihnen nicht um Minarette ging, sondern um Kopftücher? Angst und Unbehagen zu spüren über die Ausbreitung bestimmter mit dem Islam begründeter Vorstellungen über das Geschlechterverhältnis, über Bekleidungsvorschriften und Sexualmoral ist aus feministischer Sicht absolut legitim. Sich deshalb an Rechtsextreme anzulehnen aber dumm und gefährlich. Dumm und gefährlich ist es jedoch auch, derartiges Unbehagen als Ausdruck rechtsextremer, ja faschistischer Gesinnung zu werten. Auch hier kann die Alternative nur lauten: freie und offene Diskussion.
Claudia Pinl lebt als Journalistin und Buchautorin in Köln. 2007 erschien von ihr im Konkret Literatur Verlag "Das Biedermeier-Komplott. Wie Neokonservative Deutschland retten wollen". Zuletzt schrieb sie an dieser Stelle über die Chancen, wenn Männer den Wickeltisch betreuen.
Birgit Rommelspacher fordert zu Recht "einen nüchternen Blick auf möglicherweise produktive wie problematische Aspekte" der "kulturellen Differenz" (taz, 18. 1. 2010). Selber unterzieht sie sich dieser Mühe nicht, bewertet stattdessen feministische Kritik am Islam als Ausdruck eurozentristischer Dominanzkultur. Frauen, gar Feministinnen haben aber triftige Gründe, bestimmten Traditionen, die von ihren Befürwortern religiös begründet werden, entschieden entgegenzutreten. Am Kopftuch scheiden sich die Geister. Ob bei dieser Bekleidungsvorschrift für Frauen ein "Wandel durch Annäherung" zu Verständnis und Akzeptanz führt und vor allem: ob das wünschenswert ist, ist eine andere Frage.
Es ist auch unter Musliminnen und Muslimen umstritten, ob die Vorschrift, Kopftuch oder weitere Verhüllungen zu tragen, tatsächlich religiöses, im Koran festgelegtes Gebot ist. Eine patriarchale, die persönliche, körperliche Freiheit von Frauen beschränkende Tradition ist es in jedem Fall. Auch wenn es inzwischen Kopftücher für Fußballerinnen und "Burkinis" für Schwimmerinnen gibt. Die Bedeckungen signalisieren, dass es ein Problem mit weiblichen Körpern gibt. Um welches Problem es sich handelt, wird meist schamhaft und mit Verweis auf die religiöse Vorschrift verschwiegen.
Tatsächlich geht es um bestimmte Vorstellungen von Sexualität. Weibliches Haupthaar, vor allem langes, gilt in wohl jedem Kulturkreis als mehr oder weniger starkes Sexsymbol. Ob andere Teile des Frauenkörpers ebenfalls "problematisch" sind, bleibt selbst unter orthodoxen Koran-Interpreten umstritten. Aber warum darf man sich nach strenggläubig islamischem Verständnis als Frau in der Öffentlichkeit nicht "sexy" zeigen? Weil weibliche Reize unerwünschte männliche Reaktionen hervorrufen.
Dahinter steckt die Vorstellung, der Mann habe seine sexuellen Impulse nicht unter Kontrolle, sobald er entsprechend "gereizt" wird. Die Frau darf sich dann über nichts mehr wundern oder beklagen. Folgt man dieser Vorstellung, ist das Verhüllungsgebot für Frauen ein Selbstschutz. Dazu passen Äußerungen von Kopftuchträgerinnen, wonach sie so ihre "Blöße" bedecken und ihre "Aura" schützen. Für den Mann bedeutet die Verhüllung des Frauenkörpers ebenfalls Selbstschutz: Als potenzieller Sextäter kommt er nicht in Versuchung, ein Verbrechen zu begehen; als Vater, Bruder oder Ehemann schützt er seine "Ehre", solange die Tochter, Schwester oder Ehefrau keinen sexuellen Übergriff befürchten muss.
Durch Entblößung des Haupthaars würde sie einen solchen Gewaltakt provozieren, vielleicht sogar "einverständlich". Denn wenn sie sich schon wie eine "Schlampe" kleidet, ist sie auch eine. "Die Ehre der Männer liegt zwischen den Beinen der Frauen", hat eine Kommentatorin anlässlich eines "Ehrenmords" den Sachverhalt auf den Punkt gebracht.
Kommt uns irgendwie bekannt vor. Denn die Debatte, ob Vergewaltigung nicht doch ein "minder schweres" Verbrechen sei, wenn nämlich das Opfer einen Minirock trug und so den Täter "reizte", liegt hierzulande erst einige Jahre zurück. Inzwischen hat es sich, zumindest bei Polizei und Justiz, herumgesprochen, dass sexualisierte Gewalt nichts mit einem "natürlichen" Reiz-Reaktions-Schema zu tun hat, sondern Männern dazu dient, Frauen (oder auch andere Männer) zu unterwerfen und zu demütigen.
Die Frauenbewegung hat lange auf ein egalitäres Verhältnis der Geschlechter hingearbeitet, nicht nur im Beruf und in der Politik, auch im "intimen" Bereich von Familie und Sexualität. Das Geschlechterverhältnis aus seiner Machtverstrickung zu lösen ist erst ansatzweise gelungen. Der Wunsch, nicht dahinter zurückzufallen, erklärt die Leidenschaft, mit der die meisten Feministinnen islamisch begründete Vorstellungen über Frauenkörper und Sexualmoral kritisieren und ablehnen. In vielen Weltgegenden ist die in Europa oft zitierte Freiwilligkeit, mit der sich Frauen den religiösen Geboten angeblich fügen, nicht vorhanden. Die Tücher werden den Frauen im Zweifelsfall auch schon mal an die Köpfe genagelt.
Die Vehemenz, mit der andererseits Kritik an und Ablehnung von Bekleidungsvorschriften und repressiver Sexualmoral als Ausdruck dumpfer Fremdenfeindlichkeit abqualifiziert wird, lässt sich meines Erachtens nur mit einem wahrscheinlich unbewussten Schuldkomplex erklären: Weil die eigene Eltern- und Großelterngeneration dazu beitrug, alles Fremde und "Undeutsche" per Massenmord zu beseitigen, fordern einige Enkelinnen nun Verständnis, Toleranz und kritiklose Akzeptanz jedweder kulturellen Tradition, solange sie nur von ansonsten unterprivilegierten Minderheiten reklamiert wird.
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