Debatte Europas Visapolitik auf dem Balkan: Keine Reisen nur für Serben
Die EU wiederholt alte Fehler auf dem Balkan: Einseitig wird Serbien bevorzugt - diesmal bei der Visapolitik. Kosovaren und Bosniaken werden hingegen benachteiligt
D ie EU hat inoffiziell angekündigt, das Visaregime für Serbien bald zu lockern. Und eigentlich wäre es ja auch eine gute Idee, die restriktive Einreisepolitik gegenüber Exjugoslawien und Albanien aufzuheben. Rund 14 Millionen Menschen, die jetzt durch die Isolierung zu Europäern zweiter Klasse gemacht werden, könnten sich wieder frei bewegen. Inzwischen ist eine Generation herangewachsen, die zum allergrößten Teil niemals im Ausland war und die nichts anderes kennt als das eigene Land. Das ist durchaus gefährlich: Wer nicht reist, kann nicht vergleichen, kann keine neuen Kontakte knüpfen, ist vielleicht anfälliger für politische Manipulationen im eigenen Land. Die Visaneuregelung sollte jedoch für alle Staaten des westlichen Balkans gelten - und nicht nur für Serbien.
ERICH RATHFELDER betreut seit über fünfzehn Jahren die Region Südosteuropa - aus dem Dreieck Berlin, Split, Sarajevo. Sein jüngstes Buch: "Schnittpunkt Sarajevo. Bosnien und Herzegowina zehn Jahre nach dem Krieg" (Schiler Verlag, 2006).
Einst ermöglichte der jugoslawische Pass eine enorme Reisefreiheit. Vor dem Fall der Mauer und den Kriegen der 90er-Jahre konnten die Bewohner Jugoslawiens ohne Visum sowohl in den Westen wie in den Ostblock reisen. Doch dann wurde das Visaregime seitens der EU abgestuft. Die wirtschaftlich und politisch erfolgreicheren Slowenen können selbstverständlich alle Rechte als EU-Bürger geltend machen. Auch die kroatischen Pässe berechtigen zum visumfreien Eintritt in die EU. Vor Serben, Bosnier, Montenegriner, Mazedonier und Kosovo-Albaner hingegen wurden die Türen geschlossen gehalten. Wenn sie in die EU einreisen wollen, müssen sie die oftmals entwürdigenden, kostspieligen und langwierigen Visaregelungen akzeptieren.
Diese Hierarchie der abgestuften Privilegien soll nun dadurch erweitert werden, dass die Visabestimmungen für die Serben gelockert werden. Damit wird in Brüssel die Hoffnung verbunden, dass Serbien die diplomatische Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo durch 22 EU-Staaten letztendlich akzeptiert. Europa will der serbischen Bevölkerung beweisen, dass es sich lohnt, die EU-Mitgliedschaft anzustreben und sich den damit verbundenen Bedingungen zu unterwerfen.
So weit, so gut. Doch wie wirkt sich diese einseitige, nur auf Serbien bezogene Strategie auf die Nachbarländer aus? Vor allem für Bosnien und auch für das Kosovo stellt die abgestufte EU-Visapolitik ein großes Problem dar.
Zunächst zum Kosovo: Dort sollen die neuen Pässe des unabhängigen Kosovo die provisorischen Papiere der UN-Mission ablösen. Der UN war es nicht einmal gelungen, dass diese Papiere in ihren Mitgliedsstaaten anerkannt werden. Aber auch mit den neuen Papieren werden immer noch Visa selbst für jene Länder benötigt, die Kosovo diplomatisch anerkannt haben. Immerhin gibt es jetzt Botschaften und Konsulate vieler Länder in Prishtina, wo sich Visa beantragen lassen. Der jetzige Zustand ist also besser als der frühere. Auch hat die EU-Mission im Kosovo ein Zeichen gesetzt, dass die Europäer eine Integration des Landes anstreben, indem sie wirtschaftliche, rechtliche und politische Hilfe leisten.
Es hat im Kosovo jedoch für Unruhe gesorgt, dass diese EU-Mission neuerdings "statusneutral" sein soll - und also die Unabhängigkeit des Kosovo nicht ausdrücklich unterstützt. Die EU nimmt damit Rücksicht auf ihre fünf Mitglieder Spanien, Rumänien, Griechenland, Zypern und die Slowakei, die Kosovo nicht diplomatisch anerkannt haben. Vor diesem Hintergrund löst die EU-Visapolitik gegenüber Serbien nun neue Unsicherheiten im Kosovo aus - zumal Serbien nach wie vor vehement versucht, in das Kosovo hineinzuregieren. In Brüssel hingegen setzt sich wieder zunehmend die Ansicht durch, Serbien sei ein "stabilisierender Faktor" auf dem Balkan, was bitterböse Erinnerungen an die Milosevic-Zeit weckt, als man in Europa gerade den wichtigsten Kriegstreiber zum Garanten der Stabilität erklärt hatte.
Nun zu Bosnien: Auch hier will sich Serbien nicht mit seinen Grenzen abfinden. Es unterstützt die Versuche serbischer Nationalisten in Bosnien und Herzegowina, das Land endgültig nach ethnischen Kriterien aufzuteilen und den serbischen Teilstaat letztendlich mit Serbien zu vereinigen. Mit einer einseitigen Visapolitik zugunsten Serbiens würde die EU die Existenz des Staates Bosnien und Herzegowina aufs Spiel setzen.
Schon jetzt gibt es in Bezug auf die EU eine Zweiklassengesellschaft in dem Land, das im Friedensvertrag von Dayton 1995 in zwei sogenannte Entitäten zerrissen wurde - in die serbische Teilrepublik und die bosniakisch-kroatische Föderation. Schon jetzt verfügen die bosnischen Kroaten nicht nur über bosnische, sondern auch über kroatische Pässe. Damit haben sie freie Fahrt nach Wien, Triest und München. Würde das Visaregime gegenüber Serbien gelockert, würden die bosnischen Serben natürlich auch versuchen, serbische Pässe zu ergattern. Dann bliebe nur die bosniakische Mehrheitsbevölkerung isoliert zurück.
In letzter Konsequenz hieße dies, dass die überlebenden Opfer des von Serben verschuldeten Massenmordes von Srebrenica nicht nach Europa reisen dürfen, während die Täter sich frei bewegen könnten. Welch eine Moral. Was sollen dann die jetzt noch prowestlich fühlenden muslimischen Bosniaken von Europa denken, wenn nur die katholischen Kroaten und die orthodoxen Serben willkommen sind? Ausgerechnet die Opfer der Balkankriege, die Bosniaken und die Albaner, würden mit einer solchen Visaneuregelung benachteiligt und bestraft.
Angesichts der Enttäuschung in der bosniakischen Bevölkerung wäre nicht mehr auszuschließen, dass radikale islamistische Strömungen Auftrieb erhielten. Die EU produziert also ein Sicherheitsrisiko, anstatt es einzudämmen. Um eine friedliche Entwicklung zu befördern, müsste Brüssel im Gegenteil versuchen, die Visafrage für alle und im Gleichschritt zu lösen.
Hoffentlich ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Der Vorgang zeigt aber, dass es in Brüssel an Fingerspitzengefühl, Kenntnissen und an politischem Willen fehlt. Es rächt sich immer mehr, dass Europa aufgrund der Ablehnung des Lissabonner Vertrags durch Irland und andere Staaten nicht in der Lage ist, eine konsistente Außenpolitik zu entwickeln. Offenbar machen sich Erweiterungskommissar Olli Rehn, das Büro des EU-Außenbeauftragten Javier Solana, die einschlägigen Ausschüsse des Parlaments und die Bürokraten aus der Kommission gegenseitig Konkurrenz.
So ruhen die Hoffnungen in Bosnien und im Kosovo auf der neuen Regierung in den USA. Schon während der Balkankriege hat sich der designierte Vizepräsident Jo Biden für Bosnien engagiert. Auch mit den außenpolitischen Beratern Madeleine Albright und Richard Holbrooke kehren Diplomaten auf die politische Bühne zurück, die den Balkan bestens kennen. Wenn Europa versagt, müssen die USA ihren Einfluss geltend machen.
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