Debatte Bomben auf Gaza: Der Raufbold schlägt wieder zu
Auf die Kassam-Raketen aus Gaza hätte Israel eine ganz andere Antwort finden müssen. Statt dessen zeigt es, dass sein Gerede vom Frieden nur eine Public-Relations-Floskel ist.
I srael hat seit Samstag wieder einen weiteren unnötigen, unglückseligen Krieg vom Zaun gebrochen. Am 16. Juni 2006, vier Tage nach dem Beginn des Libanonkriegs, schrieb ich: "Jedes Viertel hat so jemanden - einen großmäuligen Raufbold, den man nicht unnötig provozieren sollte. Nicht, dass der Raufbold nicht seine Gründe hat - jemand hat ihn gereizt. Aber die Reaktion, was für eine Reaktion!"
Gideon Levy, 53, war von 1978 bis 1982 Mitarbeiter von Schimon Peres. Seit 1982 schreibt er als prominenter Autor für die linke israelische Tageszeitung "Haaretz", in der auch dieser Beitrag erschienen ist. Er lebt in Tel Aviv.
Zweieinhalb Jahre später wiederholen sich diese Worte. Im Rahmen weniger Stunden haben die israelischen Streitkräfte am Samstagnachmittag Tod und Verwüstung gesät in einem Ausmaß, das die Kassam-Raketen in all diesen Jahren nicht erreicht haben - und die Operation "Gegossenes Blei" steckt erst in ihren Anfängen.
Wieder einmal überschreitet Israels gewalttätige Antwort, selbst wenn es für sie eine Rechtfertigung gibt, jede Verhältnismäßigkeit und jede rote Linie, die Menschlichkeit, Moralität, internationales Recht und Vernunft ziehen.
Was am Samstag in Gaza begonnen hat, ist ein Kriegsverbrechen und eine Dummheit. Das ist die bittere Ironie der Geschichte: Eine Regierung, die sich nur zwei Monate, nachdem sie gebildet wurde, in einen sinnlosen Krieg ziehen ließ - so viel ist heute fast jeder bereit anzuerkennen -, stürzt sich zwei Monate vor Ablauf ihrer Amtszeit in einen anderen, von Anfang an zum Scheitern verurteilten Krieg.
In der Zwischenzeit trug Ehud Olmert die Erhabenheit des Friedens auf seiner Zungenspitze spazieren - ein Mann, der einige der mutigsten Worte ausgesprochen hat, die je ein israelischer Premierminister zu äußern wagte. Die Erhabenheit des Friedens auf seiner Zunge und zwei fruchtlose Kriege in seiner Schwertscheide. An seiner Seite steht sein Verteidigungsminister, Ehud Olmert, der Chef der sogenannten linken Partei, der in diesem Verbrechen die Rolle des älteren Komplizen spielt.
Israel hat die Möglichkeiten diplomatischer Verhandlungen nicht ausgeschöpft, bevor es sich am Samstag aufgemacht hat, in eine weitere Kampagne des Tötens und der Zerstörung aufzubrechen. Die Kassam-Raketen, die auf die Gemeinden an der Grenze zu Gaza niederregneten, waren nicht mehr zu tolerieren, auch wenn sie nicht den Tod brachten. Aber die Antwort darauf muss eine fundamental andere sein: diplomatische Bemühungen, um den Waffenstillstand wiederherzustellen - den gleichen Waffenstillstand, wohlgemerkt, den Israel ursprünglich gebrochen hat, als es völlig unnötigerweise einen Tunnel bombardierte. Und dann, wenn diese Bemühungen fehlschlagen, eine maßvolle und schrittweise militärische Antwort.
Aber nein. Es ist alles oder nichts. Die israelische Armee hat einen Krieg losgetreten - einen Krieg, über dessen Ende man wie üblich nur hoffen kann, dass jemand über uns wacht.
Blut wird jetzt wie Wasser fließen. Das belagerte und verarmte Gaza, die Stadt der Flüchtlinge, wird den größten Preis dafür bezahlen. Aber Blut wird auch auf unserer Seite unnötig vergossen werden. Die Hamas hat das in ihrer Dummheit auf sich und ihre Leute gebracht. Aber das entschuldigt nicht Israels Überreaktion.
Die Geschichte des Nahen Ostens wiederholt sich in verzweifelter Präzision. Nur die Frequenz der Kriege nimmt zu. Konnten wir zwischen dem Jom-Kippur-Krieg (von 1973, d. Red.) und dem ersten Libanon-Feldzug (1982, d. Red.) noch neun Jahre Ruhe genießen, brechen wir jetzt alle zwei Jahre einen neuen Krieg vom Zaun. So stellt Israel unter Beweis, dass es zwischen seinen Public-Relation-Parolen, die vom Frieden sprechen, und seinem kampflustigen Verhalten keinerlei Zusammenhang gibt.
Israel beweist auch, dass es die Lehren aus dem vorhergehenden Krieg nicht beherzigt hat. Wieder einmal ging diesem Krieg eine furchterregend uniforme öffentliche Debatte voraus, in der nur eine Stimme zu hören war - jene, die zum Zuschlagen, Zerstören, Aushungern und Töten aufrief und die dazu anstachelte und animierte, Kriegsverbrechen zu begehen.
Wieder einmal saßen die Kommentatoren gestern in ihren TV-Studios und priesen die Kampfflieger, die jene Polizeistationen bombardierten, in denen Beamte arbeiten, die dafür verantwortlich sind, die Ordnung auf den Straßen von Gaza aufrecht zu erhalten. Wieder einmal sprachen sie sich dagegen aus, nachzulassen und dafür, die Angriffe fortzusetzen. Wieder einmal beschrieben die Journalisten die Bilder des (durch Kassam-Raketen) beschädigten Hauses in Netivot (im Süden Israels) als "schwierige Szene". Wieder einmal hatten wir den Nerv, uns darüber zu beschweren, in welcher Weise die Welt die Bilder aus Gaza übertrug. Und wieder einmal müssen wir erst ein paar Tage warten, bis sich aus dem Dunkel eine andere Stimme erhebt, eine Stimme der Weisheit und der Moral.
In einer weiteren Woche oder zwei werden die gleichen Experten, die jetzt nach Militärschlägen und noch mehr Militärschlägen rufen, miteinander in ihrer Kritik an diesem Krieg konkurrieren. Und wieder einmal wird dies entschieden zu spät sein.
Die Bilder, die seit Samstag die Fernsehschirme weltweit überschwemmt haben, zeigten eine Parade von Leichen und Verwundeten, die auf und von den Ladeflächen privater Autos geladen wurden, die sie zum einzigen Krankenhaus in Gaza brachten, das diesen Namen verdient. Vielleicht müssen wir uns einmal mehr vergegenwärtigen, das wir es mit einem kläglichen, geschundenen Landstrich zu tun haben, dessen Bevölkerung zum größten Teil aus Kindern von Flüchtlingen besteht, die bereits unmenschliche Entbehrungen zu erleiden hatten. Seit zweieinhalb Jahren sind sie eingesperrt und von der ganzen Welt geächtet worden. Die Denkschule, die davon ausgeht, dass wir durch diesen Krieg neue Alliierte im Gazastreifen gewinnen, dass wir dies in ihr Bewusstsein brennen, indem wir die Bevölkerung und ihre Söhne töten, und dass eine Militäroperation genügt, um ein unbeugsames Regime zu beseitigen und es durch eines zu ersetzen, das uns freundlicher gesinnt ist - das ist nicht mehr als Irrsinn.
Die Hisbollah ging aus dem zweiten Libanonkrieg nicht geschwächt hervor, ganz im Gegenteil. Auch die Hamas wird der Krieg in Gaza nicht schwächen. In einer kurzen Weile, wenn die Parade der Leichen und Verwundeten ein Ende gefunden hat, werden wir zu einem neuen Waffenstillstand kommen, wie es nach dem Libanonkrieg passiert ist - genau zu so einem Waffenstillstand, der auch ohne diesen überflüssigen Krieg zu haben gewesen wäre.
In der Zwischenzeit sollten wir die israelische Armee ihren Kampf gewinnen lassen, wie sie es nennen. Ein Held gegen die Schwachen, hat sie seit Samstag Dutzende von Zielen aus der Luft beschossen, und die Bilder von Blut und Feuer sind dazu gedacht, Israelis, Arabern und der ganzen Welt zu zeigen, dass der Raufbold des Viertels nichts von seiner Kraft eingebüßt hat. Wenn der Raufbold herumwütet, dann kann ihn nichts und niemand stoppen.
Übersetzung: Daniel Bax
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