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Debatte Afrika 2010Die gestohlene Demokratie

Kommentar von Joachim Buwembo

Mehrparteienwahlen gibt es inzwischen überall, aber sie bringen keine besseren Regierungen hervor. Denn die Gesellschaften selbst sind unfrei.

A lle wissen es, keiner traut es sich zu sagen: Die Mehrparteiendemokratie in Afrika ist gescheitert. Gerade dieses Jahr ist Wahlsaison in vielen Ländern Ost- und Zentralafrikas, und obwohl die Menschen eifrig politisieren, lässt sich ein frustrierter Unterton nicht überhören, der bald in völlige Resignation münden könnte.

Die Einparteienregierungen vergangener Zeiten sind längst diskreditiert, die Militärregime waren meistens eine Katastrophe. Als die Welle der Demokratisierung nach dem Fall der Berliner Mauer Afrika erreichte, sollten wir alle glücklich werden. Aber wir warten noch heute. Die "zweite Befreiung" Afrikas durch "demokratische Wahlen" hat sich als finsterer Fehlschlag erwiesen.

Finsterer Fehlschlag

Joachim Buwembo

war in seiner Heimat Uganda nacheinander Chefredakteur der führenden Zeitungen Sunday Vision und Daily Monitor. Heute lebt er in Tansania, war Mitgründer der Tageszeitung Citizen und ist jetzt als Knight Fellow in der Journalistenförderung aktiv.

Das Problem mit afrikanischen Wahlen ist, dass sie meist von den Machthabern gestohlen werden; und selbst wenn sie frei und fair sind, kommt dabei nicht notwendigerweise eine dem Volk verpflichtete Regierung heraus. Nehmen wir Kenia, wo die letzte Wahl Ende 2007 zu einer Orgie des Blutvergießens führte, als Präsident Mwai Kibaki auf eine verheerende Niederlage zusteuerte, sich dann aber einfach für eine neue Amtszeit vereidigen ließ, bevor die Wahlergebnisse verkündet worden waren.

Auf die Frage, wer die Wahl gewonnen habe, antwortete der Wahlkommissionschef schlicht: Weiß ich nicht. Das Land versank im Chaos, der Westen drückte ein Machtteilungsabkommen durch. Raila Odinga, der weithin als Wahlsieger vermutet wurde, bekam den Posten des Premierminister, sein Rivale blieb Präsident. Seitdem streiten sie sich vor allem.

Das gleiche Muster lässt sich in Simbabwe erkennen, wo Wahlsieger Morgan Tsvangirai gezwungen wurde, die rangniedrigere Position des Premierministers anzunehmen, während Wahlverlierer Robert Mugabe Präsident blieb. Mit wenigen Ausnahmen wie Ghana haben Mehrparteienwahlen in Afrika keine weiseren Regierungen hervorgebracht. Aber eine vernünftigere Option ist nicht in Sicht.

Das Volk strömt immer wieder zurück zu den Wahlurnen und hofft, dass diesmal etwas anderes herauskommt. Man geht wählen, nicht um die Demokratie zu festigen, sondern um dem Verlierer "eine Lektion zu erteilen". Oppositionsführer sehen Wahlen als Gelegenheit, selbst zu Diktatoren zu werden. Ansonsten scheinen sich die Bürger daran zu gewöhnen, dass die Regierungspartei sich immer durchsetzt.

Als in Uganda Kiiza Besigye als ernsthafter Herausforderer für Präsident Yoweri Museveni erschien, wurde er verhaftet und verbrachte den halben Wahlkampf hinter Gittern. Er kam bei der Wahl von 2006 nur auf den zweiten Platz, obwohl das Oberste Gericht die Wahlkommission als unfähig bezeichnete und ihr Verhalten durch die Bank als regelwidrig ansah. Nun hat Museveni die gleiche Wahlkommission erneut berufen, um die Wahlen 2011 zu leiten. Auf diese Weise wird er wohl seinen 25 Jahren an der Macht weitere fünf hinzufügen. Das nennt sich dann Demokratie.

Verordnete Opposition

Auch in Ruanda zeigt sich die Regierung von Präsident Paul Kagame trotz ihrer Erfolgsmeldungen von Wirtschaftsaufschwung, Korruptionsbekämpfung und Versöhnung äußerst ängstlich, sobald eine Opposition auftaucht. Tansania wiederum ist das interessante Beispiel eines Landes, in dem die Mehrparteiendemokratie etwas zu gut funktioniert.

Die regierende CCM, früher die Einheitspartei des verstorbenen Präsidenten Julius Nyerere, ist so dominant, dass sie die Wahl nicht stehlen muss. Das gegnerische Lager ist dermaßen schwach und unattraktiv, dass niemand die Regierungspartei verlassen möchte – es ist die Regierungspartei selbst, die versuchen muss, die Opposition zu stärken. So werden neue Oppositionsparteien für CCM-Schöpfungen gehalten.

Lasst uns ehrlich sein: Demokratische Wahlen funktionieren nur in Gesellschaften, die selbst demokratisch sind. Sie sind wie eine Mahlzeit aus Steak und Rotwein: gut für den Erwachsenen, schlecht für kleine Babys. Solange die Rolle von Regierungen in Afrika nicht verstanden wird, bleiben Wahlen höchstens ein Mittel, schlechte Führer durch noch schlechtere zu ersetzen.

Von der Idee eines Sozialvertrags zwischen Regierenden und Regierten haben die meisten afrikanischen Wähler nie gehört. Sie denken wie Kolonialsubjekte, die zur Staatsmacht hochblicken wie zum Allmächtigen: Führer haben in dieser Logik das Recht, uneingeschränkt über Ressourcen zu verfügen, solange sie zur richtigen Partei, Volksgruppe oder Religion gehören. Die Staatsmacht ist nur ein Werkzeug: wenn die eigene Gruppe sie in der Hand hält, kann man mit ihr machen, was man will.

Viele offen korrupte Politiker sind in ihren Heimatregionen Helden. Wer öffentliche Güter nicht stiehlt, wird verachtet, weil er seine Chancen nicht nutzt. In vielfacher Hinsicht ist Regieren in Afrika Kriminalität mit anderen Mitteln; und Wahlen sind eine Legitimation des ungehinderten Diebstahls.

Einfache Wähler können daran sehr wenig ändern, weil sie so wenig wissen. Nur wenigen ist zum Beispiel bekannt, dass eine gewählte Regierung ihnen Rechenschaft über die Verwendung von Steuergeldern schuldet.

Verantwortung der Eliten

Es sind also die Eliten, die als Erste begreifen müssen, dass es jenseits ihrer Privatinteressen nur dann eine Zukunft für ihre Kinder gibt, wenn zwischen Ausübung von Macht und Rechtfertigung von Kriminalität unterschieden wird. Die Eliten lenken die öffentliche Meinung. Wenn sie etwas sagen, werden die Massen zuhören. Aber viele ihrer Angehörigen festigen die Perversion der Politik eher. Und wenn ein Skandal zu groß wird, gehen die Führer nicht etwa zur Polizei; sie rufen die Parteiführung an, und es gibt eine "Versöhnung".

Oppositionsparteien wiederum interessieren sich kaum dafür, eine demokratische politische Kultur aufzubauen. Ihre Aktivität scheint sich darin zu erschöpfen, einige Zeit vor dem Urnengang Wahlkampf zu betreiben und dann die Wahl zu verlieren. Um Wahlen in Afrika relevant zu machen, müssen demokratische Praktiken und soziale Gerechtigkeit in allen Aspekten des Lebens verankert werden, und zwar immer – nicht nur zu Wahlzeiten.

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2 Kommentare

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  • A
    Andreas

    Danke für den Kommentar! Entgegen manchen Kommentaren "der Westen ist schuld" - was auch immer der Westen ist - ist dies ein hausgemachtes afrikanisches Problem. Die Kolonialzeit ist seit 1960 vorbei, die meisten Afrikaner haben sie gar nicht mehr erlebt. Robert Mugabe ist ein ganz schlechtes Beispiel leider, plündernd und mordend und das Land ruinierend hat er die Macht gestohlen. Und das mächtige Nachbarland Südafrika war zu feige ihm seine Grenzen aufzuzeigen. Gut zureden verstehen solche Diktatoren leider nicht. Die Koalitionsregierung in Zimbabwe war ganz sicher nicht die Idee des "Westens" - Großbritannien und die USA würden sicher lieber heute als morgen Herrn Mugabe loswerden. So wie viele seiner Landsleute. Er hat in atemberaubender Geschwindigkeit das Land, das als es Rhodesien war, "breadbasket of south africa" genannt wurde, in Hunger und Armut gestürzt.

  • D
    Daniel

    Bezüglich Rwanda denke ich ist es problematisch bereits eine komplett offene Demokratie zu verlangen. Ich verstehe seine Kritiker, aber andererseits muss man sich die Alternative vorstellen: nur 16 Jahre sind es seid dem Völkermord her. Das Land hat gigantische Schritte vorwärts gemacht und baut nachhaltige Infrastruktur und Human Ressourcen auf. Insbesondere der Kampf der Korruption und die strikten Gesetze im öffentlichen Raum (striktes Verbot von Plastiktüten, rigorose Durchsetzung der Verkehrsregeln, Verbot von nicht authorisierten Märkten auf öffentlichem Grund und strikte Einhaltung von Planungsrichtlinien) dienen letztendlich dem Aufbau einer genuinen Zivilgesellschaft. Seine Kritiker (unterstützt von Amnesty oder HRW) sehen darin "Repressionen". Bezüglich den Restriktionen der Redefreiheit (Anti-Genozidideologiegesetz z.B.) denke ich ist es doch ähnlich wie in D nach dem 2WK. Um ein Land aus so einem tiefen Loch zu retten müssen radikale Massnahmen ergriffen werden, die halt in der Postmoderne nicht mehr "akzeptabel" sind. Momentan sieht es so aus, als würden exil-Rwander die seit 94 nicht mehr im Lande sind am meisten herumschreien. Rwander in Rwanda sind grundsätzlich viel zufriedener, weil es Aufwärts geht, wie kaum in einem anderen afr. Land und nicht wegen Naturressourcen, sondern einer liberalen Investitionspolitik, dem Aufbau eines Attraktiven Handelsstandort, der Durchsetzung der öffentlichen Ordnung und den massiven Investition in höherer Ausbildung. Das ist revolutionär! Will man das nun alles opfern nur wegen gewissen Oppositionellen, die unbedingt das Thema Hutu/Tutsi wieder öffentlich ansprechen möchten, im Namen der "Meinungsfreiheit"? Und das noch dazu von Personen die von Genozid-Leugner/Legitimierer/Relativisten umgegeben sind.

     

    Ich glaube es ist auch im Interesse der liberalen Demokratien eine ehrliche Diskussion über Demokratie in der "Dritten Welt" (doofer Begriff) zu starten. Denn für eine funktionierenden Demokratie braucht es Staatsstrukturen, eine relativ gebildete Bevölkerung die gewisse Grundwerte verinnerlicht hat und nicht in der Perspektivlosigkeit lebt. Demokratie ist eben nicht nur ein Wahlsystem.

     

    Was wäre wenn nun Rwanda nach 16 Jahren (und 10 Jahren Stabilität) der "freien Meinungsäusserung" komplett freien Lauf lassen würde? Sofort würde der Hass wieder geschürt, denn es mangelt nicht an Personen die das Mistrauen zwischen Hutus und Tutsis nicht ausnützen würden.

     

    Lieber strategisch und vorsichtig Demokratie aufbauen, als hitzköpfig und "taktisch" die liberale Demokratie fordern, die dann aus Mangel an populärer Unterstützung kollabiert. Wie? Das muss in einer ehrlichen und weiten Diskussion und vor allem nicht mit hypokritischen Schuldzuweisungen und Verurteilungen erörtert werden...