Debatte Afrika 2010: Die gestohlene Demokratie
Mehrparteienwahlen gibt es inzwischen überall, aber sie bringen keine besseren Regierungen hervor. Denn die Gesellschaften selbst sind unfrei.
A lle wissen es, keiner traut es sich zu sagen: Die Mehrparteiendemokratie in Afrika ist gescheitert. Gerade dieses Jahr ist Wahlsaison in vielen Ländern Ost- und Zentralafrikas, und obwohl die Menschen eifrig politisieren, lässt sich ein frustrierter Unterton nicht überhören, der bald in völlige Resignation münden könnte.
Die Einparteienregierungen vergangener Zeiten sind längst diskreditiert, die Militärregime waren meistens eine Katastrophe. Als die Welle der Demokratisierung nach dem Fall der Berliner Mauer Afrika erreichte, sollten wir alle glücklich werden. Aber wir warten noch heute. Die "zweite Befreiung" Afrikas durch "demokratische Wahlen" hat sich als finsterer Fehlschlag erwiesen.
Finsterer Fehlschlag
war in seiner Heimat Uganda nacheinander Chefredakteur der führenden Zeitungen Sunday Vision und Daily Monitor. Heute lebt er in Tansania, war Mitgründer der Tageszeitung Citizen und ist jetzt als Knight Fellow in der Journalistenförderung aktiv.
Das Problem mit afrikanischen Wahlen ist, dass sie meist von den Machthabern gestohlen werden; und selbst wenn sie frei und fair sind, kommt dabei nicht notwendigerweise eine dem Volk verpflichtete Regierung heraus. Nehmen wir Kenia, wo die letzte Wahl Ende 2007 zu einer Orgie des Blutvergießens führte, als Präsident Mwai Kibaki auf eine verheerende Niederlage zusteuerte, sich dann aber einfach für eine neue Amtszeit vereidigen ließ, bevor die Wahlergebnisse verkündet worden waren.
Auf die Frage, wer die Wahl gewonnen habe, antwortete der Wahlkommissionschef schlicht: Weiß ich nicht. Das Land versank im Chaos, der Westen drückte ein Machtteilungsabkommen durch. Raila Odinga, der weithin als Wahlsieger vermutet wurde, bekam den Posten des Premierminister, sein Rivale blieb Präsident. Seitdem streiten sie sich vor allem.
Das gleiche Muster lässt sich in Simbabwe erkennen, wo Wahlsieger Morgan Tsvangirai gezwungen wurde, die rangniedrigere Position des Premierministers anzunehmen, während Wahlverlierer Robert Mugabe Präsident blieb. Mit wenigen Ausnahmen wie Ghana haben Mehrparteienwahlen in Afrika keine weiseren Regierungen hervorgebracht. Aber eine vernünftigere Option ist nicht in Sicht.
Das Volk strömt immer wieder zurück zu den Wahlurnen und hofft, dass diesmal etwas anderes herauskommt. Man geht wählen, nicht um die Demokratie zu festigen, sondern um dem Verlierer "eine Lektion zu erteilen". Oppositionsführer sehen Wahlen als Gelegenheit, selbst zu Diktatoren zu werden. Ansonsten scheinen sich die Bürger daran zu gewöhnen, dass die Regierungspartei sich immer durchsetzt.
Als in Uganda Kiiza Besigye als ernsthafter Herausforderer für Präsident Yoweri Museveni erschien, wurde er verhaftet und verbrachte den halben Wahlkampf hinter Gittern. Er kam bei der Wahl von 2006 nur auf den zweiten Platz, obwohl das Oberste Gericht die Wahlkommission als unfähig bezeichnete und ihr Verhalten durch die Bank als regelwidrig ansah. Nun hat Museveni die gleiche Wahlkommission erneut berufen, um die Wahlen 2011 zu leiten. Auf diese Weise wird er wohl seinen 25 Jahren an der Macht weitere fünf hinzufügen. Das nennt sich dann Demokratie.
Verordnete Opposition
Auch in Ruanda zeigt sich die Regierung von Präsident Paul Kagame trotz ihrer Erfolgsmeldungen von Wirtschaftsaufschwung, Korruptionsbekämpfung und Versöhnung äußerst ängstlich, sobald eine Opposition auftaucht. Tansania wiederum ist das interessante Beispiel eines Landes, in dem die Mehrparteiendemokratie etwas zu gut funktioniert.
Die regierende CCM, früher die Einheitspartei des verstorbenen Präsidenten Julius Nyerere, ist so dominant, dass sie die Wahl nicht stehlen muss. Das gegnerische Lager ist dermaßen schwach und unattraktiv, dass niemand die Regierungspartei verlassen möchte – es ist die Regierungspartei selbst, die versuchen muss, die Opposition zu stärken. So werden neue Oppositionsparteien für CCM-Schöpfungen gehalten.
Lasst uns ehrlich sein: Demokratische Wahlen funktionieren nur in Gesellschaften, die selbst demokratisch sind. Sie sind wie eine Mahlzeit aus Steak und Rotwein: gut für den Erwachsenen, schlecht für kleine Babys. Solange die Rolle von Regierungen in Afrika nicht verstanden wird, bleiben Wahlen höchstens ein Mittel, schlechte Führer durch noch schlechtere zu ersetzen.
Von der Idee eines Sozialvertrags zwischen Regierenden und Regierten haben die meisten afrikanischen Wähler nie gehört. Sie denken wie Kolonialsubjekte, die zur Staatsmacht hochblicken wie zum Allmächtigen: Führer haben in dieser Logik das Recht, uneingeschränkt über Ressourcen zu verfügen, solange sie zur richtigen Partei, Volksgruppe oder Religion gehören. Die Staatsmacht ist nur ein Werkzeug: wenn die eigene Gruppe sie in der Hand hält, kann man mit ihr machen, was man will.
Viele offen korrupte Politiker sind in ihren Heimatregionen Helden. Wer öffentliche Güter nicht stiehlt, wird verachtet, weil er seine Chancen nicht nutzt. In vielfacher Hinsicht ist Regieren in Afrika Kriminalität mit anderen Mitteln; und Wahlen sind eine Legitimation des ungehinderten Diebstahls.
Einfache Wähler können daran sehr wenig ändern, weil sie so wenig wissen. Nur wenigen ist zum Beispiel bekannt, dass eine gewählte Regierung ihnen Rechenschaft über die Verwendung von Steuergeldern schuldet.
Verantwortung der Eliten
Es sind also die Eliten, die als Erste begreifen müssen, dass es jenseits ihrer Privatinteressen nur dann eine Zukunft für ihre Kinder gibt, wenn zwischen Ausübung von Macht und Rechtfertigung von Kriminalität unterschieden wird. Die Eliten lenken die öffentliche Meinung. Wenn sie etwas sagen, werden die Massen zuhören. Aber viele ihrer Angehörigen festigen die Perversion der Politik eher. Und wenn ein Skandal zu groß wird, gehen die Führer nicht etwa zur Polizei; sie rufen die Parteiführung an, und es gibt eine "Versöhnung".
Oppositionsparteien wiederum interessieren sich kaum dafür, eine demokratische politische Kultur aufzubauen. Ihre Aktivität scheint sich darin zu erschöpfen, einige Zeit vor dem Urnengang Wahlkampf zu betreiben und dann die Wahl zu verlieren. Um Wahlen in Afrika relevant zu machen, müssen demokratische Praktiken und soziale Gerechtigkeit in allen Aspekten des Lebens verankert werden, und zwar immer – nicht nur zu Wahlzeiten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld