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Debatte Afghanistan-KriegUnser Vietnam

Kommentar von Rudolf Walther

Die Rechtfertigung des Afghanistankriegs kennt ein Vorbild: Schon einmal wurde die Freiheit des Westens angeblich in Asien verteidigt.

Vietnam und Afghanistan - gibt es etwas, was diese ungleichen Kriege verbindet? Ja, es gibt Übereinstimmung, und zwar in genau zweierlei Hinsicht. Erstens: in der situativen Anpassung von politischen, propagandistischen und militärischen Rechtfertigungsmustern des Krieges. Zweitens: in der unentwegten Wiederholung der fast wortgleichen Rechtfertigungsparolen.

Was die Anpassung der Rechtfertigungsmuster betrifft, so galt der Vietnamkrieg zunächst als "Krieg gegen den Kommunismus", der verhindern sollte, dass alle Länder Südostasiens wie Dominosteine fallen würden. Von dieser "Dominotheorie" rückte man ab, als ihre spekulative Legitimationsfunktion durchsichtig wurde. Zu Beginn des Krieges in Afghanistan hieß es, es gehe um die Durchsetzung von Demokratie, Rechtsstaat, Menschen- und Frauenrechten. Derlei wiederholt heute niemand mehr. Zur Rechtfertigung blieben genau zwei Gründe: "unsere Sicherheit" und die Solidarität mit der Nato, wobei der zweite Grund meist verschwiegen wird.

Mit dem Hinweis auf den islamistischen Terror meinte der sozialdemokratische Verteidigungsminister Peter Struck, "unsere Sicherheit" werde auch am Hindukusch verteidigt. Er folgte damit nur der Devise Konrad Adenauers zum französischen Indochinakrieg (1945-1954): "Die Soldaten tun dies nicht bloß für Frankreich allein, sondern im Dienste der Freiheit der ganzen Welt." Für die "Verteidigung Berlins am Mekong" zogen rund 100.000 deutsche Fremdenlegionäre in den Krieg. Um "unsere Freiheit" zu retten? Sicher ist nur, dass rund 3.000 von ihnen ihr Leben allein im Mai 1954 in Dien Bien Phu verloren.

Zwölf Jahre später waren es für Ludwig Erhard "die Sicherheit Berlins und die Sicherheit Europas", in deren Namen die USA ihren "Krieg gegen den Kommunismus" in Vietnam führten. Seit 2001 trommeln die Schreibtischkrieger den "neuesten" Gassenhauer: Die Anschläge von Madrid und London zeigen, dass es "auch uns jederzeit" treffen kann. Es gibt nicht den Hauch eines Belegs dafür, dass die Taliban jene Anschläge verübten. Und sind sie überhaupt fähig und gewillt zu Anschlägen in Berlin oder Frankfurt, falls die Bundeswehr abzöge?

Der US-amerikanische Verteidigungsminister Robert McNamara - ein rabiater Falke, der seine Irrtümer später öffentlich bereute - meinte 1965: "Es geht in Vietnam um mehr als um die Frage, ob ein kleines Land dem Kommunismus anheimfällt." Damals vernebelte die "Dominotheorie" die Köpfe, heute die These, von den Taliban drohten die Übernahme der pakistanischen Atomwaffen und weltweite Terroranschläge. Wieder heißt der Refrain, es gehe "um mehr" und sowieso um "unsere" Freiheit und Sicherheit. Zu einer restlos diskreditierten Rechtfertigungsschablone griff kürzlich Matthias Matussek im Spiegel. Er wärmte die von Kirchenvater Augustinus und dem mittelalterlichen Theologen Thomas von Aquin begründete Lehre vom "gerechten Krieg" auf: "Es gibt ihn jetzt am Hindukusch, wo es um ein Volk geht, das zur Geisel von religiösen Gangstern wurde."

Der "gerechte Krieg" war an drei Bedingungen geknüpft: an die Macht des Fürsten (auctoritas principis), an den gerechten Kriegsgrund (causa iusta) und an die aufrichtige Absicht (intentio recta). Mit diesem theologisch-politischen Instrument war jeder Krieg zu rechtfertigen, denn die "aufrichtige Absicht" hätten allenfalls Beichtväter überprüfen können, und für die Beurteilung des "gerechten Kriegsgrunds" gab es keine neutrale Instanz. Völlig offen blieb, welche und wie viel Macht Fürsten überhaupt erst zum "gerechten Krieg" berechtigten.

Erst der Philosoph Immanuel Kant beendete das theologisch-politische Gezänk um den "gerechten Krieg", indem er die "barbarische Freiheit der schon gestifteten Staaten", Kriege nach innen wie nach außen zu führen, völkerrechtlich und moralphilosophisch begrenzte. Völkerrechtlich sei Krieg nur gegen Staaten erlaubt, die Verträge oder andere Rechtsprinzipien verletzten. Als Kriegsziel akzeptierte Kant nur die Errichtung "einer neuen Verfassung", die "die Neigung zum Kriege" verringern sollte.

Friedensmission oder Überfall?

In Afghanistan sichert die "neue Verfassung" einem korrupten Staatsmann und Wahlfälscher das Weiterregieren. Mit dem Briand-Kellogg-Pakt von 1928 und der UN-Charta von 1945 (Art. 51) gilt nur noch die Selbstverteidigung gegen einen illegalen Angriff als legitime Kriegshandlung. Das "Recht zum Krieg" (ius ad bellum) wurde den Einzelstaaten völkerrechtlich entzogen. Die Rehabilitierung der Ideologie vom "gerechten Krieg", etwa im Spiegel, ist eine Attacke auf die Substanz des Völkerrechts, weil sie das "Recht zum Krieg" wieder an Einzelstaaten zurückgibt.

Auch die semantischen Kämpfe um das, was in Afghanistan abläuft - eine "Friedensmission" (Fischer/Schröder, Rot-Grün), ein "Stabilisierungseinsatz" (Franz Josef Jung, CDU), ein "kriegsähnlicher Konflikt" (zu Guttenberg, CSU) oder "umgangssprachlich ein Krieg" (zu Guttenberg) -, gab es schon zur Zeit des Vietnamkriegs. General Westmoreland hatte 1965 bereits 190.000 Soldaten in Vietnam stationiert, meinte jedoch, der Konflikt sei "dennoch kein Krieg". Präsident Johnsons brutale Androhung einer Eskalation des Luftkrieges galt als "Friedensoffensive". An der "Heimatfront" waren beide Kriege gleichermaßen unpopulär. Die dagegen verabreichten Beruhigungspillen hatten die gleichen Namen. 1968/69 setzte man auf die "Vietnamisierung" des Krieges, das heißt auf die stärkere Beteiligung südvietnamesischer Soldaten. Die "neue Strategie" der Nato in Afghanistan proklamiert die "Afghanisierung" des Krieges mit den Floskeln "Partnering" und "Übergabe in Verantwortung".

Außer den Beruhigungspillen verteilen die medialen Apologeten des Krieges auch das Gift aller Berufspatrioten - die Denunziation der Kritik am Krieg als "gute Nachrichten für Hanoi", also virtuellen Landesverrat. Die Medien bastelten daraus eine Dolchstoßlegende. Die öde Klage über die moralische Unterversorgung und die militärisch unzureichende Ausrüstung der deutschen Soldaten in Afghanistan ist der Rohstoff solcher Legendenbildung.

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5 Kommentare

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  • MS
    marc steiner

    Dazu auch Matthias Matussek im Interview mit dem Debatten-Magazin "The European": http://theeuropean.de/matthias-matussek/3277-afghanistan-und-die-zukunft-des-journalismus

  • S
    Sunny

    Zitat: "Zu Beginn des Krieges in Afghanistan hieß es, es gehe um die Durchsetzung von Demokratie, Rechtsstaat, Menschen- und Frauenrechten."

     

    Das ist nicht richtig. Zu Beginn ging es darum, die Verantwortlichen für die Flugzeugabstürze von 9-11 zur Verantwortung zu ziehen.

     

    Erst als den Amerikanern klar wurde, dass ein flüchtiger Bin Laden für lange Jahre der Immanuel Goldstein für die mediale Bespielung der westlichen Welt sein könnte, wurde Richtung Demokratisierung usw. umgelabel.

  • V
    vic

    Wenn in diesem Konflikt überhaupt eine Seite im Recht sein sollte,

    dann sind das die einheimischen "Aufständischen" und "Widerstandskämpfer".

    Denn sie sind es, die Land und Leute erneut gegen angreifende kriegerische Horden verteidigen müssen.

    Diesmal eben gegen den US-Aid Verband.

  • B
    Bismarck

    Sehr geehrter Herr Walther,

     

    herzlichen Dank für Ihren vollkommen richtigen Kommentar.

    Das musste mal gesagt werden.

     

    Das letzte was wir brauchen sind Tote, Verwundete, Verletzte und Kosten für einen Krieg, der sich vermeiden lässt.

     

    Leider will der eingeheiratete, auf jugendlich machende Adel im Verteidigunsministerium nicht zur Vernunft kommen und zieht unser armes Deutschland immer weiter in diesen Konflikt hinein. Dabei wäre die Wirtschaftskrise eine so gute Entschuldigung jetzt das Ding zu beenden.

     

    Hochachtungsvoll

     

    Ihr Reichskanzler

  • M
    Martin

    Zumindest in einem Punkt dürfte die Analogie richtig sein: Im ausnehmend beschissenen Schicksal der Zivilbevölkerung, die nach einem Rückzug der bösen Westler dann froh und glücklich unter einem totalitären Regime vegetieren darf. Man sollte sich halt immer mal fragen, ob die Südkoreaner glücklicher wären, wenn sie wie Nordkoreaner leben dürften...