Dazwischenmusik von Tupolev: Elektronik als Kleber und Teppich
Tupolev machen mit Klavier, Cello, Schlagzeug und Elektronik Popsongs ohne Worte. Ihr neues Album "Towers of Sparks" ist gerade erschienen.
"Wir haben angefangen wie eine Punkband", sagt Alexandr Vatagin. Er kaufte sich einen Bass, sein Freund Peter Holy eine Gitarre. Spielen können sie die Instrumente nicht, Musik machen wollen sie trotzdem. Sie tun sich mit David Schweighart, Schlagzeug, und Lukas Scholler, Elektronik, zusammen und veröffentlichen 2005 unter dem Namen Tupolev die erste EP, 2008 folgte das erste Album "Memories Of Björn Bolssen" - nun erscheint schon das zweite: "Towers Of Sparks". Was auf diesen Tonträgern zu hören ist, könnte aber von rotziger DIY-Staatskritik mit lärmenden Gitarren nicht weiter entfernt sein.
Holy hat die Gitarre gegen das Klavier getauscht, ein Instrument, das er schon in Jugendjahren lernte, Vatagin spielt jetzt Cello - weil das leichter als ein Kontrabass zu finden war. Die vier aus dem Wiener Vorort Mödling haben sich einem Zwischenraum verschrieben, der sich zwar der Melodien des Pop bedient, ihre klanglichen Ausdrucksmöglichkeiten aber am ehesten aus dem Bereich der Neuen Musik bezieht. "Schöne und komplexe instrumentale Musik", schlägt Vatagin als eine Art Nichtgenre für Tupolev vor.
Trotz der schon durch die Besetzung bestehenden Nähe zur klassischen Musik, deren Protagonisten doch eigentlich strikt durch das Leistungsprinzip auserkoren werden, besitzt nur ein Bandmitglied eine musikalische Ausbildung: Schlagzeuger Schweighart kann ein abgebrochenes Studium der Jazzgitarre vorweisen. Doch auch ohne absolutes handwerkliches Könnertum funktionieren Tupolevs Songs ohne Worte. Virtuosentum ist der Band sogar zuwider: Sie lehnen eine Verbindung ihrer Musik zum Jazz strikt ab, auch wenn das Schlagzeug dessen Rhythmen durchaus zitiert: "Wir hassen Soli."
So baut sich ein Song wie der erste Teil der titelgebenden Trilogie des neuen Albums der Österreicher, "Towers Of Sparks 1", langsam auf. Einer repetitiven Melodie auf dem Klavier fügen sich einige fast wie zufällig gesetzte Schlagzeugschläge hinzu, das Cello hebt zu einer das Klavier unterstützenden Klage an, und Lukas Scholler lässt durch dieses musikalische Konstrukt einen kalten Steppenwind pfeifen. Dieser Steppenwind verdichtet sich zu einem Feedback-Fiepen und -Rauschen, dem die Instrumente für fast zweieinhalb Minuten das Feld überlassen. Dann verstummt das Rauschen und das Klavier spielt erneut das melodische Motiv des Stücks.
"Towers Of Sparks 1" ist deshalb exemplarisch für die Musik von Tupolev, weil es die beiden Elemente ihrer Entstehung so klar hervortreten lässt. Einerseits sind da die fast schematischen Tonfolgen der Melodieinstrumente, andererseits das Schlagzeug und die elektronisch erzeugten Geräusche.
"Alle melodischen Instrumente sind ausnotiert", erzählt Vatagin, "das hat sich seit den Anfängen der Band so entwickelt." Verantwortlich ist dafür Pianist Peter Holy. Bis zu einem halben Jahr braucht er für einen einzelnen Song. Mit den fertigen Kompositionen kommt er in den Übungsraum, und David Schweighart, der Schlagzeuger, improvisiert zu den Melodielinien von Klavier und Cello, um dadurch zu festen Strukturen zu kommen.
Eine besondere Rolle spielen dann die elektronischen Elemente von Lukas Scholler. Auch seine Beiträge - das Knacken, das Rauschen, das Fiepen und Knattern - sind zunächst Improvisation. Obwohl sie nachträglich hinzugefügt werden, geben sie den Songs von Tupolev Struktur und Halt. "Tupolev würde für uns ohne Elektronik nicht funktionieren", sagt Vatagin, "das ist der Kleber und Teppich."
Tatsächlich beschränkt sich Scholler aber nicht auf die Rolle des Teppichs. Die elektronischen Geräusche wachsen und wuchern, winden sich um die Klänge der anderen Instrumente, um sich im nächsten Moment wieder zurückzunehmen.
Die aufwändige Arbeitsweise der Band führt auch zu Beschränkungen - es ist nicht verwunderlich, dass "Towers Of Sparks" mit einer knappen halben Stunde Spielzeit fünf Minuten kürzer als die EP von 2005 ist. Aber der Aufwand lohnt sich, schließlich braucht es die Geduld, um die Elemente von Tupolev ineinanderzufügen.
Diese Elemente bestehen aus Popmelodien, Neue-Musik-Anklängen und sind auf keinen Fall Jazz - in was für eine Tradition kann man so eine Band stellen? Für eine Zuordnung zur experimentellen Musik ist Tupolev schlicht zu rund, zu abgeschlossen, die Instrumente werden auf ganz herkömmliche Art benutzt. Am ehesten könnte man sie noch in eine Reihe mit Künstlern wie dem Pianisten Hauschka stellen, der sein Klavier zwar mit verschiedensten Dingen präpariert, damit aber ob seiner herkömmlichen Melodien auch bei Indie-Fans Zuspruch findet. Tupolevs Label Valeot, das Vatagin und Holy betreiben, formuliert auf seiner Website eine epochale Kategorie für die verlegte Musik: Sie wäre "post-modern music that does not fit genre-classifications". Oder wie Vatagin im Interview sagt: "Das ist halt dazwischen."
Tupolev: "Towers of Sparks" (Valeot)
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