berliner Platten : Davon können Sie ausgehen
Gehen wir mal davon aus, dass sich Ragazzi was dabei gedacht haben, als sie ihr zweites Album „Lumber“ tauften. Denn das ist englisch und bedeutet so viel wie Bau- oder Nutzholz. Gehen wir weiter mal davon aus, dass die Titelwahl mit guter Absicht geschah. Gehen wir also davon aus: Ragazzi machen Gebrauchspop. Oder, weil das besser klingt: Popmusik für den Alltag.
Gehen Sie also getrost davon aus, dass der aktuell zum Trio geschrumpften Band ein wesentlich konzentrierteres Werk gelungen ist als das noch zu fünft aufgenommene Debüt von 2003. Die elf Songs klingen nach großem Wurf, nach dem Verlangen, raus zu wollen aus der deutschen Popprovinz. Matthias Einhoff (sonst bei Aroma Gold), Bob Schätzle (der Julia Hummer bei ihren Ausflügen ins Gesangliche unterstützt) und Dirk Kretz verstehen Pop als internationale Idee. Deutsch als Singsprache, das postuliert jede der raffinierten Melodien, jeder Manierismus im Ausdruck und jedes geklaute Keyboardklingeln, geht gar nicht. Jedenfalls nicht für Pop.
Die eigene Plattenfirma nennt als Referenz frühe 10cc oder XTC (was beides nachvollziehbar ist), aber auch das Electric Light Orchestra (fehlt der Kitsch als Karikatur seiner selbst) oder New Order (eigentlich eine andere Sorte Melancholie). Viele andere Namen würden einem einfallen, aber das beweist doch nur: Ragazzi bedienen sich so geschickt im Fundus, dass die Bezugspunkte längst nicht mehr eindeutig nachvollziehbar sind. Gehen Sie also davon aus, dass Ragazzi in der deutschen Poplandschaft recht einmalig sind. Vor allem deshalb, weil sie nur Pop selbst sein wollen.
Gehen Sie davon aus, dass es sich mit den Gods of Blitz ganz ähnlich verhält. Ersetzen Sie nur das Wörtchen Pop durch das Wort Rock. Man könnte, um ihr zweites Album „Reporting A Miracle“ zu beschreiben, die Godfathers ins Spiel bringen, aber auch die Kinks, die Rolling Stones, vielleicht auch die Troggs oder die Seeds, also nur klassische Namen. Tatsächlich sind die Songs von Gods of Blitz so simpel, wie man es sich eigentlich nicht mehr trauen kann heutzutage. Das Quartett dekonstruiert nicht, es karikiert nicht, es modernisiert nicht mal, es stellt einfach unerhört liebevoll nach. Statt wie jede andere Rockband heutzutage 47einhalb Gitarrenspuren übereinander zu schichten und im Computer hochrechnen zu lassen, verzerrt das Quartett die Sechssaiter ganz gesittet und setzt auf Strophe, Refrain und Bridge. Überraschend ist dabei nur, dass selbst die unvermeidliche Patina wie eleganter Firniss glänzt. Dass die Texte bisweilen im Klischee versinken („Life is where the heat is/ Take it when you need it“), gehört womöglich sogar zum Programm. Gehen Sie davon aus, dass die Gods of Blitz nicht vergessen haben, wie man Rock buchstabiert.
Thomas Winkler
P.S.: Gehen Sie davon aus, dass der Verfasser dieser Zeilen aus geburtstechnischen Gründen ein unwiederbringlich inniges Verhältnis zum 1. FC Nürnberg pflegt und deshalb nicht umhin kam, mit dieser Plattenkritik Hans Meyer und das Erreichen den Pokalfinales zu würdigen.
Ragazzi: „Lumber“ (Staatsakt/Indigo), Record Release Party, Sa., Haus Ungarn Gods of Blitz: „Reporting A Miracle“ (Four Music/Sony BMG)