■ Daumenkino: Mächte des Wahnsinns
Nachdem der Splatterfilm im Zuge der Braindead-Rezeption schon totgesagt worden war, versucht er nun, sich wenigstens als bedeutungsvoller Untoter wieder unter die Lebenden zu schmuggeln. Hatte sich schon Wes Craven in Wes Craven's New Nightmare samt seinem Grusel- Horst Freddy Krueger reanimiert, grüßt auch hier das Genre sich selbst. Klassische Eröffnung: Ein Mann, dem man ansieht, daß er früher ein unauffälliger netter Junge war, haust in einer Zelle der lokalen Nervenheilanstalt bei Wasser, Brot und einigen schwarzen Kreuzen, um nicht zu sagen: einer ganzen Wand voll. Lieb Jesulein, magst ruhig sein. Um die Sache loszutreten, kommt ein Versicherungsangestellter und entlockt ihm seine Geschichte.
Alles hatte ganz harmlos angefangen: Er war von einer Lektorin angeheuert worden, nach ihrem Starautor zu fanden. Es hatten sich nämlich merkwürdige Dinge mit dessen Büchern ereignet. Ganz eindeutig nach Stephen King modelliert hatte dieser Bestsellerautor nämlich in Serie ganze Kohorten gutsortierter Ostküstenbürger zu rasenden Angsthasen reduziert, die seine Prophezeihungen für bare Münze nahmen. Nicht nur das! Sie waren bare Münze geworden: es waren tatsächlich schlitzende, metallbehängte Brutalokerle in der Stadt unterwegs, aber noch viel schlimmer. Der Held sitzt eines urgemütlichen Nachmittags mit einem Buch des Megaautors auf der Couch, und wie er neben sich schaut, da glotzt ihn ein zerfließender Cop an, in dessen Gesicht so gar nichts mehr zueinander passen möcht'. Lektorin gegrapscht, nach Neuengland gefahren, wo ja eh der Vampir tobt, und da, meine Damen und Herren, in einer hundeumjaulten Kirche entpuppt sich der Schreckensautor als – Jürgen Prochnow (durchaus als irgendwie Deutscher eingesetzt: als „Führer“ einer Autorentyrannei) . Alles in allem krankt die Sache leider an zweifelhaften Effekten, die an die Geisterbahn in Fuhlsbüttel erinnert: zur Linken ein paar Dorfbewohner mit Hackebeilchen, zur Rechten ekle Kraken, vorneweg eine eitle Greisin, deren Mann eben noch an der Rezeption gestanden hatte und den man jetzt nur noch leise quieken hört. Vielleicht sieht man gerade an jemandem wie Carpenter, der nach Halloween oder Assault wirklich zu den Schockmeistern des Genres gehören sollte, wie sehr der Splatter auf den armen Hund gekommen ist (erinnert sich noch jemand an „The Invisible Man“?) Am Hübschesten sind gewisse nächtliche Erscheinungen gelungen, die, halb Kinder, halb Greise, auf Motorrädern in einer langsam grinsenden Geschwindigkeit vorbeirauschen, als hätten sie ihr ewig währendes Leben lang nichts anderes getan.
Mariam Niroumand
„Die Mächte des Wahnsinns“, Regie: John Carpenter. Mit: Sam Neill, Jürgen Prochnow u.a., USA, 1994
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