■ Daumenkino: Little Odessa
Vor einigen Jahren trat in gewissen populärkulturellen Zirkeln das Thema des „Muscle Jew“ auf, des bewaffneten, wehrtüchtigen Juden, der nichts von einer bleichen Ghettopflanze und erst recht nichts von einem Lamm hat, das man irgendwo hintreiben könnte.
Davor war es schon mal im Deutschland der Jahrhundertwende präsent, als die Ghettos aufgelöst und Palästina als potentiell zu beackerndes Feld ins Auge gefaßt worden war. Während dieser „Tough Jew“ dem Zionismus aus verständlichen Gründen erhalten blieb, dauerte es unter den liberalen Juden der USA beispielsweise bis zum Sechstagekrieg, bis er sein beinhartes Haupt regte.
Little Odessa von James Gray, zeugt nun von der Ankunft und Erschröcklichkeit des Themas für junge Spätgeborene, denen die Vorstellung eines Muskeljuden ungemütlich und zugleich irgendwie lieblich reinläuft.
Joshua Shapira (Tim Roth) ist ein Profikiller, heißt es forsch im Presseheft. „Seine Opfer erledigt er schon mal am hellichten Tag auf offener Straße.“ Statt es nachts zu machen, wie ein anständiger Mörder. Sein Job führt ihn nach Brighton Beach, einem Ort, der sich ja schon seit Jan Schüttes „Auf Wiedersehen Amerika“ einen Namen als 1a-Projektionsfläche gemacht hat. Angeblich nennt man ihn „Little Odessa“, wegen der vielen russisch-jüdischen Emigranten. Dort lebt die Familie des Killers, natürlich, wie es sich für Juden gehört, zu drei Generationen unter einem Dach: Die in einem merkwürdigen, garantiert nicht Odessa-proof-Jiddisch dahinbabbelnde Oma, die an einem Gehirntumor dahinsiechende Mame, gespielt ausgerechnet von Vanessa Redgrave (die sich in den letzten Jahren ja durch ein nicht übermäßig differenziertes Engagement für die Palästinenser hervortat), ein jähzorniger Alter, gespielt um Gottes willen von Maximilian Schell, und ein kleiner goyisher Bursche, Joshuas kleiner Bruder Reuben, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird. Bis es zum Treffen zwischen den Brüdern und erst recht zwischen Vater und Sohn kommt, müssen einige Köpfe rollen und wird allerhand hineingeheimnist. Die ganze mysteriöse Neurosenschwere des Milieus hat etwas von der „ewigen Last des Jüdischseins“. Klar, wer als einziger überlebt. mn
„Little Odessa“, Regie: James Gray. Mit: Tim Roth, Vanessa Redgrave, Maximilian Schell u.a., USA, 1994
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