■ Daumenkino: Casper
Steinzeit, Schindler, Poltergeister: Allmählich ist einem der Mensch hinter dem Produzenten Steven Spielberg fast unheimlicher als die Wesen, die er animieren läßt. Statt sich über seinen Verschleiß an Oscars und filmischen Themen Gedanken zu machen, greift er zur nächsten Story, das Team am Computer von Industrial Light & Magic illuminiert die Bilder dazu, und der Rest wird sich schon finden.
Als Spielberg seinen Regisseur für das Remake der 30er-Jahre-Comic-Serie „Casper the friendly Ghost“ vorstellte, konnte er den Debütanten Brad Silberling, der vorher ein paar TV-Folgen von „Brooklyn Bridge“ gedreht hatte, aus dem Hut zaubern: „Ich dachte, daß es wunderbar wäre, an seiner weiteren Karriere beteiligt zu sein.“
Die beiden haben sich über gemeinsame Jugendträume gefunden, Kindheitsbilder und Maschinen. Bald eine Stunde lang flirren digitalisierte Gespenster durch „Casper“, verdrehen ihre marshmallowartigen Körper, schmeißen mit Töpfen und lassen frisch gepreßten Orangensaft durch die Luft schweben – siebenmal so viele Bytes wie in „Jurassic Park“. Zum Spielfilm wird dieser riesige Rechner mit einer Speicherkapazität „von 19 Millionen Floppy Disks“ durch einige Märchen-Reminiszenzen.
In einem Spukschloß sollen alte Piratenschätze verborgen sein, für die eine garstige Schranze das Haus am liebsten abreißen würde. Aber da sind die Geister vor, und mit ihnen deren Erinnerungen, die sie an den Ort binden, der mit all seinen Art-deco-Spielereien und Grotten-Interieurs selbst wie ein Traumkino der dreißiger Jahre aussieht. Sie sind traurige Tote, die ihre Geschäfte auf Erden nicht erledigen konnten und deshalb in der Zwischenzone umherirren. Daß diese fremden Gezeiten aufeinanderprallen, ist mehr Film als der Rest der Handlung. Im Keller hat der frühere Hausherr ein Frankenstein-Labor hinterlassen, das bis in Details dem Original entspricht. Nur das Monster bleibt unter der Erde (dafür erscheinen im Spiegel Clint Eastwood und Mel Gibson).
Zur Rettung eilt der Psychotherapeut und Geisterfreund Harvey (Bill Pullman) herbei, der erst vor kurzem seine Ehefrau verloren hat und sich von den Gespenstern gerne ins Jenseits führen ließe. Statt dessen bandelt seine Tochter Kat („Addams“-Göre Christina Ricci) mit dem freundlich glupschigen Knollenkopf Casper an und muß am Ende wie so oft erkennen, daß eine Zwölfjährige trotz hormoneller Wallungen an die Seite ihres Vaters gehört und nicht in die Arme von Geisterwesen. Nebenbei entdeckt auch Casper seine Kindheit wieder: Während er anfangs freudig erregt das fremde Mädchen in sein Bett wünscht, spielt er am Ende auf dem Dachboden wieder mit der Eisenbahn. Harald Fricke
„Casper“. Regie: Brad Silberling. USA 1994.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen