■ Daumenkino: Nur über meine Leiche
Was soll man denken, wenn ein bratfertig gerupfter Truthahn aus dem Kühlschrank heraus plötzlich anfängt zu jammern, man möge ihn aus der Kälte holen, um dann mit „Golden Girl“-Stimme obszön daherzumeckern? Man würde dahinter eher Hongkong-Kino vermuten, aber sicher keinen deutschen Film. Bestenfalls Achternbusch würde sich für einen parlierenden Truthahn interessieren – nicht aber für das freundliche Gesicht neben dem nackten Vogel. Denn das gehört Katja Riemann.
So also sieht der deutsche Film mit Massenappeal aus: In „Nur über meine Leiche“ agieren bekannte Schauspieler aus Funk und Fernsehen. Die Special-effects erreichen eine hierzulande seltene Qualität. Die Geschichte ist prall gefüllt mit unehelichen Töchtern, Casanovas, Karrierefrauen, netten Mauerblümchen und eben einem Truthahn. Mit in Deutschland bisher einmaligen Vorab-Screenings, die den Umschnitt von drei Szenen zur Folge hatten, wurde die Publikumswirksamkeit getestet. Nur daß Regisseur Rainer Matsutani ein Debütant ist, stört den kassenmagnetisierenden Gesamteindruck, auch wenn der Deutsch- Japaner für seine Kurzfilme mit Preisen zugeschüttet wurde.
Auch bei der Besetzung wurde nicht gespart: Die Wandlung Katja Riemanns von der furchtsamen, tierliebenden Landpomeranze zur lebensrettenden Traumfrau ist ebenso vorhersehbar wie wundervoll anzusehen. Christoph M. Ohrt gibt als charmanter Großkotz fast die Rolle, mit der er in der TV- Serie „Die vier aus der Zwischenzeit“ bekannt wurde. „Tatort“-Kommissarin Ulrike Folkerts spielt die rachedurstige Ehefrau, und Udo Kier ist als erfolgloser Killer einfach Udo Kier.
Den besten Part hat natürlich der Truthahn, den sich der Geist von Ohrts verstorbener Mutter als vorübergehende Heimstatt auserwählt hat. Ohrt selbst wurde schon ins Jenseits befördert, hat aber auf dem Weg dorthin einen nur mäßig furchteinflößenden und ansonsten schusseligen Hades-Fährmann kennengelernt, der ihm Aufschub gewährt. Von seiner Truthahn-Mutter mehr beschimpft als angeleitet, muß er nun drei Frauen erlösen, die er in seinem ersten Leben als Arschloch ins Unglück gestürzt hat. Sollte ihm das gelingen, erhielte er ein zweites Leben. Sein aktueller Zustand als Zombie bereitet ihm zwar einige Kopfschmerzen, ist ansonsten aber gar nicht mal unpraktisch: Kugeln, Giftpfeile und Fensterstürze demolieren den graumelierten Ohrt nur minimal. Und wenn sich per finalem Rettungskuß die allerletzte ausweglose Situation hin zum Guten wendet, ist nicht nur die Liebe gerettet, sondern hat der deutsche Film eine neue Facette erhalten. to
„Nur über meine Leiche“, Regie: Rainer Matsutani. Mit Katja Riemann, Christoph M. Ohrt, Ulrike Folkerts, Udo Kier, BRD 95, 102 Min.
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