■ Daumenkino: Der Polygraph
Der Polygraph ist nicht, wie man denkt, jemand mit einem geheimnisvollen Beruf, sondern ein Lügendetektor. Es ist das Gerät derer, die ihre Unschuld belegen wollen, um endlich einen Verdacht abzuwerfen. In diesem Fall aber funktioniert das Ding nicht. Die Ergebnisse, wird dem Probanden gesagt, seien uneindeutig.
So bleibt der Verdacht hängen an François, er habe Marie-Claire ermordet, die seine Freundin war. Bis, ganz am Ende des Films, eine Nachbarin sich von ihm die Hände binden läßt, mit einem Gürtel am Abfluß eines Handwaschbeckens eines gefliesten Badezimmers in einem Lofthaus in Quebec. In dieser Situation gesteht er ihr, daß sein Verhältnis zur Ermordeten ein sadomasochistisches gewesen ist. Er ist nicht mehr sicher, ob er der Täter war. Aber bevor sie es ausspricht, ist klar: Er war es nicht.
Dies ist die beste Szene in dem Film von Robert Lepage, der sich entschlossen an die Philosopheme des Kinos heftet: Geschichte und Individuum, Phantasie und Wirklichkeit.
Die Nachbarin von François spielt das Opfer in einem Film über einen Mordfall, der nicht gelöst ist. Ihr Freund ist ein Pathologe aus Montreal. Er ist einst abgehauen aus Berlin. Und jetzt, wir schreiben den Herbst 1989, scheint das Ende des Kommunismus nah, für den François, der Verdächtige, Experte ist. Er kellnert und schließt seine Dissertation ab. Wenn er nicht gerade unter den Lügendetektor muß. Und der Mann, der diesen bedient, ist der beste Freund des Pathologen.
Alle Fragen werden gestellt, und fast alle werden beantwortet. Aber nicht die theoretische Übertreibung ist das Manko dieses Films, sondern sein mangelnder Glanz. Die Schauspielerei bleibt letztlich Theater, die Logik der Kamera zu nah an der Fotografie. Es gibt Filme, die das vertragen (ich denke an Gus van Sants „Mala Noche“). Dilettantismus ist dann in Ordnung, wenn der Stoff gut und anders als mit semiprofessionellen Mitteln nicht zu haben war.
Robert Lepage aber versucht sich ganz klar an der nächsten Stufe, dem Kinofilm mit anti-erzählerischen Elementen, doppeldeutigen Texten, Beschleunigungen und Längen. Sollte es eher ein David Cronenberg werden oder lieber ein Heinz Emigholz? Er ist weder noch. Es ist schon möglich, mit Schauspielern zu arbeiten, die die erotische Suggestion des Traditionskinos unterlaufen (Emigholz' „Der zynische Körper“ ist dafür ein gutes Beispiel). Aber die Darsteller in „Der Polygraph“ sind ohne Abgrund. Man wird den Eindruck nicht los, den Autoren des Films selbst in die Gesichter zu sehen, die in verteilten Rollen ihre guten Absichten erklären. Oder ihre bösen. Einer, der den Lügendetektor bedient, sieht aus wie der junge Foucault. uez
„Der Polygraph“. Regie: Robert Lepage
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