Daumenkino:
The Green Mile
Erst kürzlich, bei seiner Rezension des aktuellen Stephen-King-Bestsellers „Das Mädchen“, bespöttelte Jan Philipp Reemtsma die Bücher Kings als Erbauungsliteratur. Das mag auf den sechsteiligen Fortsetzungsroman „The Green Mile“ tatsächlich zutreffen. Doch was ist gegen Erbauungsliteratur zu sagen, wenn ihr Autor glaubt, damit der Bestialität seiner Landsleute wenigsten ein bisschen beizukommen? Immerhin gewinnt man bei der Lektüre den Eindruck, King versuche in „The Green Mile“ seine amerikanischen Leser zum Umdenken in der Frage der Todesstrafe zu bewegen. Er setzt dabei auf den unschuldig zum Tode Verurteilten, auf die mysteriöse Figur des John Coffey, eine Heilandsfigur – weil ihm durchaus klar ist, dass er den Angriff auf den Rachegedanken seiner Mitbürger erst gar nicht zu wagen braucht. „Aug um Aug, und die Welt ist blind“, soll Mahatma Gandhi gesagt haben. Auch dieser Satz ist vielleicht erbaulich zu nennen. Doch es gibt erbaulichere Sünden wider den Geist.
Zum Beispiel die Verfilmung von „The Green Mile“. Über volle drei Stunden windet sich die umständlich erzählte, mit unnötigem Aufwand und überflüssigen Szenen nostalgisch aufgerüschte Geschichte dahin, die Frank Darabont inszeniert hat; ohne Rücksicht auf den eigentlichen Ort des Dramas, das Gefängnis, in dem sich die Katastrophe der Todesstrafe eigentlich in der Form eines schlichten Kammerspiels ereignen müsste.
Natürlich dürfen da die übernatürlichen Kräfte, die der hünenhafte schwarze Erntearbeiter John Coffey besitzt, keine Allegorie für seine Unschuld oder die Unschuld der Schwarzen in Amerika sein, von der das weiße Vorurteil von vornherein nichts wissen will. Bei Darabont sind sie platte, in Special-Effects-Manier hingetrickste New-Age- und Guru-Kräfte, die inszenatorisch den gleichen Thrill und Kick hervorzurufen wünschen wie die widerwärtig detailgenauen, lang hingezogenen Hinrichtungsszenen.
Gegen so viel naturalistische Erbaulichkeit kommt niemand mehr an. Nicht der gequälte Zuschauer und selbst ein so herausragender Schauspieler wie Tom Hanks nicht. Er spielt Paul Edgecomb, den Erzähler und Gefängniswärter, der in den 30er-Jahren, den Jahren der großen Depression, John Coffey (Michael Clarke Duncan) begegnet und danach seinen Job quittiert.
Denn er selbst wird den unschuldigen Mann, von dem er weiß, dass er Wunder vollbringt, den mit grünem Linoleum ausgelegten Flur entlang zum elektrischen Stuhl führen. Erstaunlicherweise gerät Edgecombs Desaster bei Darabont zum versöhnlichen Schluss. Es scheint okay, dass J. C. den Todesstoß erhält, schließlich hat er seinen Richtern und Henkern verziehen. Wenn das nicht erbaulich ist.
Brigitte Werneburg
„The Green Mile“. Buch und Regie: Frank Darabont. Mit Tom Hanks, Michael Clarke Duncan, u. a., USA 1999, 183 Min.
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