Datenschutz-Forscher über Online-Schnüffelei: "Der Staat könnte in Körper eindringen"
Das Innenministerium vergleicht die Online-Durchsuchung mit dem Ausspähen von Wohnungen. Datenschutz-Forscher Pfitzmann meint, es komme eher einer Körperverletzung gleich.
taz: Herr Pfitzmann, würden Sie sich noch einen Herzschrittmacher einsetzen lassen?
Andreas Pfitzmann: Wissen Sie mehr als ich? Ehrlich gesagt, fühle ich mich derzeit noch ziemlich gesund.
Ich frage Sie das, weil es kürzlich US-amerikanische Forscher geschafft haben, per Funk einen Herzschrittmacher zu hacken. Sie konnten die Informationen auf dem Gerät auslesen, hätten dem Herz des Trägers aber auch Elektroschocks versetzen können.
Als einfacher Informatiker werde ich mir wohl kaum genug Feinde gemacht haben, um ein Attentat fürchten zu müssen. Aber das Experiment der Amerikaner war auch gar nicht dazu gedacht, herzkranke Menschen in Todesangst zu versetzen. Sie wollten vielmehr darauf aufmerksam machen, dass es auch Gefahren gibt, wenn wir unsere körperlichen Fähigkeiten durch Computer ergänzen. Die Wissenschaftler haben gezeigt, dass man in diese Geräte eindringen kann, wenn diese über Funk oder anderweitig mit Rechnern kommunizieren, die der medizinischen Überwachung dienen.
Ist es diese Entwicklung vor der Sie gewarnt haben, als Sie vor dem Bundesverfassungsgericht das heimliche Eindringen in einen Computer mit Körperverletzung verglichen?
Als es in Karlsruhe darum ging, die Zulässigkeit der heimlichen Online-Durchsuchung zu klären, wollte ich als sachkundige Auskunftsperson den Richtern erläutern, was diese Maßnahme eigentlich bedeutet. Innenminister Wolfgang Schäuble und die Vertreter des Bundeskriminalamtes vergleichen diese gern mit einer Wohnungsdurchsuchung. Das ignoriert den grundlegenden Unterschied, dass diese Durchsuchungen offene Maßnahmen sind, während Online-Durchsuchungen verdeckte Maßnahmen sein sollen. Dazu kommt, dass ein immer größerer Teil unseres Lebens in Computern und im Internet abgebildet wird. Bei vielen Menschen schon heute weit mehr als in ihrer Wohnung. Außerdemwerden wir unsere körperlichen Fähigkeiten künftig mehr und mehr mit Computern ergänzen.
Mag sein. Aber welches Interesse sollten staatliche Behörden haben, in einen Herzschrittmacher einzudringen?
Das mag heute noch etwas fantastisch klingen. Aber es ging mir darum, dass die Karlsruher Richter bei ihrer Entscheidung die künftigen Entwicklungen berücksichtigen. Und ein Teil dieser Zukunft werden eben auch mehr Computer in unseren Körpern sein. In einer alternden Gesellschaft gibt es das Interesse und den Markt für medizinische Implantate. Nicht nur Herzschrittmacher, auch Geräte, die selbsttätig Medikamente abgeben oder Hörgeräte.
Das macht sie noch nicht zu Zielen staatlicher Spionage.
Je nachdem, welche zusätzlichen Funktionen diese Geräte haben oder welche Daten auf Ihnen gespeichert sind, könnten staatliche Behörden aber auch die organisierte Kriminalität ein Interesse haben, in diese Körpercomputer einzudringen. Leider versuchen Menschen so viele Funktionen wie möglich in einem Gerät unterzubringen. Sie wollen gern die Universalmaschine - und darin liegt die Gefahr.
Wieso?
Unsere informationstechnischen Systeme sind leider sehr unsicher, weil sie immer komplizierter werden. Mit dieser rasanten Entwicklung halten derzeit weder die Informatik noch die Hersteller von Sicherheitssoftware Schritt. Nun kann ich mit einer Sicherheitslücke gut leben, solange niemand sie nutzen will. Doch was wäre, wenn jemand auf die Idee käme, auf dem Schrittmacher den Zugangscode für das eigene Bankkonto zu speichern?
Das hört sich nach einer ziemlich absurden Idee an.
Sie können sicher sein, dass es solche oder ähnliche Vorschläge geben wird. Stellen Sie sich vor, wie bequem ein solches Implantat für einen etwas vergesslichen Achtzigjährigen wäre, der Geld abholen will. Er kann seine Kontonummer und seine PIN gar nicht vergessen, denn das Implantat trägt er immer bei sich. Das sendet die entsprechenden Daten einfach an das Terminal und der Mann bekommt sein Geld. Es gibt viele Menschen, die sich das Leben gerne dadurch erleichtern würden, dass sie wichtige Daten immer bei sich tragen. Und es gibt eine Industrie, die diese Marktlücke entdecken wird.
Und wann glauben Sie, wird es soweit sein?
Wenn es darum ginge, im Herzschrittmacher nur ein paar zusätzliche Daten zu speichern, das geht schon heute. Wollten wir dagegen beispielsweise in einem Hörgerät ein Vokabelbuch einbauen, das uns beim Frankreich-Urlaub einigermaßen brauchbar übersetzt, was der Kellner erzählt, dann wäre das an der Grenze des heute Machbaren.
Warum?
Bei komplexeren Implantaten gibt es ein Problem mit der Energieversorgung. Überlegen Sie doch mal wie lange ein Handyakku hält - Sie wollen doch wohl nicht alle zwei Wochen zum Nachladen auf den OP-Tisch. Hier versucht die Forschung beispielsweise zu ergründen, inwieweit die normalen körperlichen Funktionen zur Gewinnung von Energie genutzt werden können. Das dauert noch sicherlich 15 bis 20 Jahre. Sollte es nun gar darum gehen, dass mir das Gerät ein bestimmtes englisches oder französisches Wort ins Ohr sagt, an das ich gerade intensiv in Deutsch denke, dann wird das sicherlich noch 20 bis 30 Jahre dauern. Es muss noch mehr geforscht werden, bis uns klar ist, wie man mit seinem Gehirn einen solchen Apparat ansteuert.
Wenn es Maschinen geben wird, die Gehirnströme in Befehle umsetzen, wäre es dann nicht wiederum möglich, die Gedanken eines Menschen zu hacken?
Klingt nach Spinnerei, aber natürlich wird das schon auf theoretischer Ebene diskutiert. Ich bezweifle jedoch aufgrund der bisherigen Entwicklung, dass wir in den nächsten fünfzig Jahren mehr herausbekommen werden als "Aha, den Begriff kannte der Befragte schon."
Also sollten wir uns gar nicht so ängstigen?
Das Problem liegt nicht darin, verloren gegangene Fähigkeiten zu ersetzen. Sondern darin, dass Menschen auf den Gedanken kommen werden, zusätzliche Fähigkeiten in Prothesen einzubauen, wenn diese denn schon implantiert werden müssen. Da werden noch harte Diskussionen auf uns zukommen. Dürfen die Kinder mit Implantaten in der Schule noch mitmachen? Bekommen alle die gleichen Geräte? Die Debatte, die wir bei der Einführung der elektronischen Taschenrechner schon einmal hatten, wird sich auf höherem Niveau wiederholen. Wir werden dann auch wieder mit dem Problem konfrontiert werden, dass sich ärmere Kinder nicht das Gleiche leisten können wie die Kinder wohlhabenderer Eltern.
Das klingt nach Science-Fiction.
Nein. Die Entwicklung der nächsten zehn bis fünfzehn Jahre auf diesen Gebieten lässt sich aufgrund der bisherigen Entwicklung relativ genau voraussagen. Es gibt bestimmte Bedürfnisse, es gibt das Geld diese zu befriedigen und gut ausgestattete Forscher, um das notwendige Wissen zu erwerben.
Sie haben vorhin gesagt, der andere Teil dieser Entwicklung sei, dass immer mehr von unserem Leben im Internet abgebildet wird. Sehen Sie das auch kritisch? Ja, denn diese Abbilder sind auch nach Jahren noch vorhanden. Das birgt die Gefahr, dass einmal alles, was wir jemals erlebt haben, auch von anderen immer wieder abrufbar ist.
Warum soll das gefährlich sein?
Menschen passen sich an, wenn sie sich bewusst sind, dass ihre Handlungen nicht mehr vergessen werden. Diese Reaktion erfolgt auf jede Art von Überwachung. Das wiederum unterminiert den Grundkonsens demokratischer Gesellschaften, der darauf beruht, dass jeder das Recht auf seine freie Meinung hat. Und auch das Recht, sie zu äußern, sich zu irren, zu lernen, sich zu ändern.
In seinem Roman "Backup" beschreibt der kanadische Autor Cory Doctorow eine Utopie, in der alle Menschen miteinander vernetzt sind. Bezahlt wird nicht mehr mit Geld, sondern mit der Reputation, welche ein jeder Mensch durch seine Taten erwirbt. Wäre das eine Horrorvision für sie?
Wieso Vision, das ist gar nicht so weit weg. Schon heute gibt es primitive Systeme, mit denen Reputation im Netz verteilt und in Vorteile umgewandelt wird. Die Bewertung der Verkäufer beim Internetauktionshaus eBay ist dafür ein gutes Beispiel. Schwierig wird es, wenn bei der Vergabe dieser Reputation nicht differenziert wird.
Was meinen Sie damit?
Als Wissenschaftler wünsche ich mir keine lügenden Kollegen. Ein Psychotherapeut dagegen sollte im Umgang mit Wahrheit flexibler sein, wenn er seinem Patienten helfen will. Eine Bewertung darf nicht eindimensional erfolgen, weil die gleiche Handlung unter verschiedenen Umständen unterschiedlich zu bewerten ist. Weder Verdienst noch Vergehen sind konstante Größen.
Aber wenn diese Bedingungen eingehalten würden, wäre eine Ächtung durch die Netz-Gemeinschaft okay?
Nicht für immer. Allen Menschen muss ein Neuanfang möglich sein. Das müssen IT-Systeme unterstützen. Es darf nicht sein, dass ein Mensch für einen Fehler wieder und wieder bezahlt, weil es in einer vernetzten Welt kein Vergessen mehr gibt.
INTERVIEW: DANIEL SCHULZ