: Das singende, schwimmende Narrenschiff
■ Am Samstag läuft das Blaue Kamel von Blaumeier und Konsorten vom Stapel / Sowohl Finanzierung als auch Zukunft des Projekts bleiben aber weiterhin ungewiß
Nach langen Monaten des Sägens, Hämmerns, Pinselns auf dem Gelände der Aucoop-Werft in Vegesack rückt nun der Tag heran und mit ihm die Stunde: Am Samstag um 14 Uhr wird es zu Wasser gelassen, das schiffartige himmelblaue Kamel, welches im August die „Blaue Karawane“ von Leipzig nach Bremen anführen soll. Das wird ein wochenlanger Zug von Verrückten aller Sorten, „von Dummen und Klugen, Inländern und Ausländern, Theoretikern und Handwerkern, von Psychiatrisierten und Normalen, von Künstlern und Therapeuten“. So sagt es der Psychiater Klaus Pramann, einer der Initiatoren.
Daß das Publikum künftig den Ausgegrenzten mit größerer Wertschätzung begegne, liegt durchaus in den Absichten der Veranstalter, nur daß es diesmal, anders als bei der ersten Karawane von 1985, nicht mehr nur um die Psychiatrisierten gehen soll, sondern ebenso um die Langzeitarbeitslosen, die Asylbewerber und alle anderen, für die keine herkömmliche Funktion vorrätig ist.
Mitsamt über 100 Mitwirkenden und ihren Zelten wird sich die Karawane durch die Republik bewegen, angestiftet von stadtbekannten Anstiftern wie dem Blaumeier-Atelier für Kunst und Psychiatrie, der „Initiative für soziale Rehabilitation und Vorbeugung psychischer Erkrankungen“, und dem eigens gegründeten Verein „Das Blaue Haus e.V.“, der nun die nötigen 300.000 Mark für die Aktion zusammentrommeln muß.
Erst einmal schwimmt es aber nur flußaufwärts, das Kamel, zwölf Meter lang und majestätisch nickenden Hauptes, begleitet von den wackeren Geräuschen der Kombo „Lauter Blech“, und am Martinianleger wird es an Land steigen, das Kamel, denn es sind zwölf trojanische Träger in ihm verborgen, die es voranbringen; es ist aber auch technisch möglich, daß sie auseinanderlaufen, ein jeder mit seinem Zwölftel Kamel, und wunderliche Tänze aufführen. Um 17 Uhr wird dieses Wüstennarrenschiff, wie es seine Erbauer nennen, auf unserm Marktplatz ankommen.
Wie es im August weitergeht, ist noch nicht ganz ausgemacht. Die Arbeit der Initiative mitsamt dem Blaumeier-Atelier ist von den Kürzungsabsichten des Senats bedroht. „Es sieht gar nicht gut aus“, sagt Klaus Pramann. „In den Diskussionen der nächsten Wochen wird entschieden, in welchem Umfang unsere Karawane überhaupt stattfinden kann“.
Wenn dann das leidige Geld zusammengekommen sein wird, geht es unbeugsam los: Am 9. August öffnet ein kleines Zeltdorf in Leipzig; dort gibt es sechs Tage lang Musik, Gespräche und Theater nicht nur von den Blaumeiers. Dann geht es zwei Wochen lang über viele Zwischenstationen weiter, ab Torgau ein Stück auf der Elbe nach Wittenberg, dann über Magdeburg, Hannover und Minden nach Bremen, wo uns ab dem 27. August noch einmal für acht Tage eine Karawanserei am Osterdeich verheißen ist. schak
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