Das liest ganz Deutschland

Der heutige Samstag ist ein großer Tag für den FC Bremerhaven: Im Pokal spielt der Verbandsligist in Bremerhaven gegen die Bundesliga-Stars von Schalke 05. Dabei hätte die Vereinsführung das Spiel des Geldes wegen gerne in die Schalker Arena verlegt – da aber war der Deutsche Fußball Bund vor

von Christian Görtzen

Das zufriedene Lächeln weicht schlagartig aus ihren Gesichtern, während der Wagen zum Nordseestadion einbiegt. „Was wird jetzt eigentlich aus dem Gospelchor? Soll der in der Halbzeitpause singen?“ Mit einem wissenden Nicken reagiert Werner Hegerfeld, Abteilungsleiter Fußball beim FC Bremerhaven 1899, auf die Fragen seines designierten Nachfolgers Heinz Ihlo. Es sind wichtige Fragen, die geklärt werden müssen. Schließlich ist die musikalische Danksagung zum Himmel für das Los Schalke 04 keine Petitesse. „Man weiß ja auch nicht, was der DFB will“, antwortet Hegerfeld mit einer Routine, die viel bereits vollzogenes Kopfschütteln über die Auflagen des Deutschen Fußball-Bundes verrät.

Seit dem 9. Juli kurz vor Mitternacht ist alles anders beim FC Bremerhaven, der bis zu dem Zeitpunkt das unspektakuläre Dasein eines Verbandsligisten mit durchschnittlich 200 Zuschauern, Bratwurstbuden und fußballerischer Magerkost fristete. An jenem Abend fischte die deutsche Nationalspielerin Steffi Jones im ZDF-Sportstudio eine Kugel aus der Lostrommel, die für Bremerhaven zu einer wahren Wundertüte wurde. Als der Name „FC Schalke 04“ verlesen wurde, lagen sich alle FCB-Mitglieder und -Fans vor Glückseligkeit gedanklich in den Armen.

Es war der Moment, seit dem Trubel, Hektik und Chaos über den FC Bremerhaven hereinbrachen und die Beschaulichkeit besiegten. Jeder schien plötzlich ein wichtiges Anliegen zu haben. Tausende Fans wollten Eintrittskarten für das Spiel, der DFB die Erfüllung seiner Auflagen, die Fernsehsender gute Übertragungsstätten und die Polizei die Beachtung der Sicherheitsaspekte. Mit dem heutigen Samstag, 18 Uhr, haben das Warten, das Bangen und der Stress endlich ein Ende. Fußball-Deutschland blickt auf eine Stadt, die bisher eher für Basketball, Eishockey, Elvis Presley und vor allem für eine Arbeitslosigkeit von 24 Prozent bekannt war.

Mächtig stolz sind sie beim FC Bremerhaven auf das nie gekannte Interesse der Medien. Es hat den Anschein, als liege die Sensation gegen die „Königsblauen“ für alle bereits in der Luft. „Hast du den ,kicker‘ gelesen?“, ruft Jugendkoordinator Burkhard Klatt dem FCB-Spielführer Stefan Kriesen noch schnell hinterher, als dieser die Treppen zum Vereinsheim hinauftippelt. „Warte mal, warte mal, hier hab’ ich’s doch“, sagt Klatt. Aus einem Wandschrank kramt er das gut behütete Fachmagazin hervor und schlägt auf Anhieb die betreffende Seite mit der Berichterstattung über den FC Bremerhaven auf. „Das liest ganz Deutschland“, sagt er genüsslich langsam.

Die großen Spiele

An die großen Spiele der Vergangenheit können sie sich alle noch bestens erinnern. Allerdings ist das auch kein allzu großes Kunststück, bei zwei Partien. Anfang der achtziger Jahre gastierte der große Real Madrid einmal beim SFL Bremerhaven, dem Vorgängerverein des FC. Und in der Saison 1996/97 stand der FCB schon einmal in der ersten Runde des DFB-Pokals. Damals waren sie gegen den Bundesligisten Karlsruher SC so nah dran an der Überraschung. „Wir führten schon mit 2:0, und dann hatte Klaus Wachaschewski das 3:0 auf dem Fuß. Er hat es aber nicht gemacht“, sagt Geschäftsführer Fritz Kasten. Seine Mimik lässt einen weiteren Satz erahnen: „Mein Gott, wie konnte er nur?“ Mit 2:3 ging die Partie verloren.

Sie werden die Lehren ziehen aus dieser unnötigen Niederlage. Und eines zumindest ist jetzt schon sicher: Klaus Wachaschewski wird nicht noch einmal ungewollt in die Rolle des gescheiterten Helden schlüpfen. Er hat seine Karriere beendet. Alle Hoffnungen ruhen darauf, dass es sein Sohn Konrad heute Abend besser macht.

Wäre es nach dem Willen der Vereinsführung gegangen, hätte die Stadt Bremerhaven auf das größte Spiel der vergangenen zehn Jahre verzichten sollen. Die FCB-Führung fragte allen Ernstes beim DFB an, ob das Spiel nicht nach Gelsenkirchen in die Arena „Auf Schalke“ verlegt werden könne. „Wir hätten dort das große Geld machen können“, sagt FCB-Manager Bertolt Brecht.

Leise Zweifel daran, ob der Zuschauerzuspruch in Gelsenkirchen gegen einen Fünftligisten weniger gewaltig sein könnte als von der Vereinsführung angenommen, wischt Geschäftsführer Fritz Kasten mit einer Handbewegung beiseite: „Die müssen dort doch um 22 Uhr nur das Flutlicht anmachen, und das Stadion ist voll.“ Der DFB jedoch spielte nicht mit, er untersagte den Tausch des Heimrechts. Jetzt also doch Nordseestadion in Bremerhaven statt Arena-Feeling in Gelsenkirchen. 10.000 Zuschauer werden wohl dabei sein, das Stadion wäre damit ausverkauft. Auf 35.000 bis 40.000 Euro schätzt Manager Bertolt Brecht die Nettoeinnahme für den Verein. Das entspreche in etwa dem Etat einer Saison, sagt Manager Brecht.

Füllt nicht gerade ein Pokalspiel die Kassen, hängt der Verein am Tropf des Präsidenten Bernd Günther, einem Unternehmer. Ohne den Boss, da sind sich Werner Hegerfeld und Heinz Ihlo einig, wäre der Klub aufgeschmissen. „Sicher begibt sich ein Verein immer in Gefahr, dass er sich abhängig macht, wenn er nicht von mehreren Schultern getragen wird. Aber auf der anderen Seite tut unser Präsident ja wirklich viel für den FCB“, sagt Ihlo.

Markenzeichen des Klubchefs, der nach eigener Auskunft von vielen schlichtweg „Präsi“ genannt wird, ist sein Regenschirm, den er bei jedem Wetter bei sich trägt. „Der Schirm ist mein Schutz und mein Talisman. Bei einem Spiel in Pansdorf konnte ich mich nur dank meines Einsatzes mit dem Schirm vor aufgebrachten Zuschauern retten. Und in der Hamburger U-Bahn war das auch mal so, als mich Rowdys attackierten“, sagt Günther, den hinter vorgehaltener Hand viele Klubmitglieder doch für ein wenig sonderbar halten. Zumindest sein Optimismus wirkt ansteckend. Auf die Frage, wie es nach dem Spiel gegen Schalke 04 weitergeht, kommt von allen Seiten nur eine Antwort: „Dann ziehen wir in der zweiten Runde die Bayern.“ Und dann lachen sie alle fröhlich vor sich hin.