: „Das höchste der Gefühle“
■ Ein Experiment im Knast : Sommerfest mit BesucherInnen in Oslebshausen
“Knast ist eben Knast“, weiß Erich P., „und der hat nun mal seine Grenzen, was die Freiheiten angeht. So ein Sommerfest ist wirklich das höchste der Gefühle, denn sozial passiert hier sonst nicht viel.“ Erich, der 65jährige, teilt dieses Hochgefühl mit rund 170 Leidensgenossen. Sie alle sind Insassen der JVA Oslebshausen im geschlossenen Strafvollzug. Das heißt: Aufstehen um sechs. Pflichtarbeit bis 15.30 Uhr mit einer Stunde Mittagspause. Der Stundenlohn: Eine Mark und vierzig. Strafvollzug, - das heißt im Normalfall auch: Wegsperren um 18.30 Uhr, eine Stunde Hofgang am Tag, doch vor allem: Keine Feste.
Am Samstag war das anders: Nach vier Jahren wurde den Häftlingen zum bisher zweiten Mal ein Sommerfest erlaubt, erstmals mit der Möglichkeit, auch Angehörige oder Freunde einzuladen. 270 Knackis aus dem geschlossenen Vollzug durften kommen, für die etwa 100 Untersuchungshäftlinge war der der nächste Tag, Sonntag, „Feier“-Tag.
Doch nur 174 genau abgezählte Insassen versammeln sich beim Fest um die einsame Würstchen-Bude auf dem Gefängnishof. Gäste sind rar. Obwohl von jedem Gefangenen zwei Erwachsene und ein Kind eingeladen werden durften, legen offensichtlich viele Insassen keinen Wert auf Besuch. Andere Häftlinge meinen, die Anmeldefrist sei zu kurz und die Bürokratie zu groß gewesen. Viele wollten im August feiern, doch das ging nicht: Zuviel Sicherheits-Personal war im Urlaub.
Für Anstaltsleiter Hans-Henning Hoff ist dieses Fest ein Experiment. Er weiß, daß ein Fest im kargen Alltag der Menschen etwas Besonderes ist. Schon lange hatte die Insassen-Vertretung um die Erlaubnis gebeten. Hoff versteht das: „Es ist ja auch besser, als nur zu telefonieren oder die eine Stunde Besuch pro Woche.“ Abteilungsleiter Hartmut Krieg sieht darin sogar ein Interesse der JVA: „Wenn die Leute hier zu sehr isoliert sind, kommt es auch zu mehr Spannungen im Vollzug.“ Doch die Aktion stellt auch höhere Sicherheitsanforderungen an das Knast-Personal. Alle Besucher werden mit besonderer Sorgfalt auf Eingeschmuggeltes – vor allem Drogen – durchsucht.Zehn zusätzliche Sicherheitsleute sind um die Würstchen-Bude verteilt. Alkoholausschank? Hartmut Krieg lacht: „Dann wäre hier kein Halten mehr. Das sind hier ja keine Pfarrerstöchter.“
Jede Aktivität, die aus dem alltäglichen Rahmen fällt, bedeutet für die Staatsdiener eine Gratwanderung. Lückenlose Kontrollen gibt es nicht. „Kleine Sachen können immer hineingeschmuggelt werden“, erklärt Hoff.„Ich kann die Leute gut verstehen, die sich da einen antrinken“, erklärt Peter H. Der gelernte Jurist, der noch bis 1998 im „Oslebs“ sitzen wird, ist gewählter Insassenvertreter und am Zustandekommen des Festes maßgeblich beteiligt. Er mußte zwischen den Forderungen der Häftlinge und den Bedenken der Anstaltsleitung vermitteln, damit es überhaupt zum Fest kommen konnte. H. ist ganz Diplomat: „Unhaltbare Zustände“, von denen kürzlich in der Presse berichtet wurden, sieht Peter H. nicht. Vier Insassen hätten sich einen gepichelt, „nicht das ganze Haus 1“. Ein Bericht, demzufolge die JVA ein „Tollhaus“ sei, in dem es drunter und drüber ginge, stimmten nicht. Der Insassenvertreter setzt auf Fingerspitzengefühl bei der Anstaltsleitung und auf Appelle gegenüber seinen Mit-Insassen: „Wir müssen hier die Spielregeln einhalten, müssen lernen uns zu beherrschen..“ Den Insassen hat der Vertreter klargemacht: „Wenn Ihr Euch heute daneben benehmt, dann war das unser erstes und auch letztes Sommerfest.“
Doch um 18 Uhr steht fest: Das „Experiment“ ist gelungen. Zwischenfälle gab es nicht. Im nächsten Jahr könnte bloß alles besser organisiert werden: Die türkische Musik- und Tanzgruppe fiel aus. Das Kabarett sagte ab. Mit dem Regen kam die Trostlosigkeit. Auch die Frau von Erich P. blieb zu Hause. „Sie ist Zigeunerin und wird immer so blöde angestarrt. Das wollte ich ihr nicht zumuten.“
André Hesel
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