: Das goldene Schiff am Rand des Parks
JUBILÄUM Die nach Entwürfen von Hans Scharoun gebaute Berliner Philharmonie wird 50 Jahre alt. Ihre Architektur erinnert heute daran, worum es bei Gebäuden eigentlich geht: um die Körper, die sich darin bewegen
Die architektonischen Vorzüge der Philharmonie von Hans Scharoun kann man am besten in einem Konzert nachvollziehen. Schließlich wurde sie ja gebaut, damit man Musik unter idealen Bedingungen hören kann. Hier eine Vorschau auf das Programm, weitere Informationen unter www.berliner-philharmoniker.de
■ Berliner Philharmoniker, Philharmonischer Chor Warschau, Antoni Wit (Dirigent): Krzysztof Penderecki: „Lukas-Passion – Passio et mors Domini nostri Jesu Christi secundum Lucam“, 19.–21. 9., 20 Uhr, ab 22 €
■ Cameron Carpenter an der Karl-Schuke-Orgel der Philharmonie: Werke von Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart, Alexander Skrjabin, Ralph Vaughan Williams, Marcel Dupré und Maurice Ravel, 24. 9., 20 Uhr, 20 €
■ Berliner Philharmoniker, Reinhard Goebel (Dirigent): Werke von Jean-Féry Rebel, Wolfgang Amadeus Mozart, Christian Cannabich und Johann Christian Bach, 2.–4. 10., 20 Uhr, ab 22 €
VON THIBAUT DE RUYTER
Im Jahr 1956 gewann der Architekt Hans Scharoun (1893–1972) den Wettbewerb für die neue Philharmonie in Berlin und ersetzte so die verschiedenen temporären Orte, die die Philharmoniker seit der Bombardierung der alten Spielstätte in der Bernburger Straße 1944 benutzten. Das erste Konzert im neuen Haus, die 9. Symphonie von Ludwig van Beethoven unter der Leitung Herbert von Karajans, fand am 15. Oktober 1963 statt.
Dieses Jahr feiert das markante Gebäude im goldenen Kleid fünfzigsten Geburtstag. Ihre Außenhaut aus goldeloxierten Aluminiumplatten erhielt die Fassade jedoch erst zwischen 1978 und 1981 durch Edgar Wisniewski, dem Partner von Hans Scharoun, der auch das an die Philharmonie angrenzende Musikinstrumenten-Museum (1982) und den Kammermusiksaal (1987) nach Scharouns Entwürfen verwirklichte.
Die Philharmonie ist weniger minimalistisch als die benachbarte, zur gleichen Zeit entstandene Neue Nationalgalerie von Mies van der Rohe, aber ihre architektonische Fragestellung lag auch anders. Man muss einfach den Konzertsaal mit den 2.452 Sitzen betreten, um den Erfindungsgeist Hans Scharouns zu verstehen. Die Konzeption der meisten Gebäude beginnt mit einer Zeichnung der Fassade (besonders im heutigen Berlin –man betrachte das Konzept für den Wiederaufbau des Schlosses), aber Hans Scharoun ging den umgekehrten Weg, denn die Philharmonie entstand aus dem Inneren, aus dem Raum des Konzertsaals.
Dieser Raum findet über die akustischen Anforderungen zu seiner Form und wächst ausgehend von der zentralen Bühne unter Berücksichtigung der Studien des Akustikers Lothar Cremer zu einer komplex verschachtelten Anlage, die an eine Terrassen-Landschaft erinnert. Die formale und funktionelle Revolution besteht darin, dass das Orchester der Mittelpunkt des Gebäudes ist – im Raum und zugleich in der Symbolik. Scharouns Architektur ist demokratisch und humanistisch, denn anstatt den Zuschauer, wie in der traditionellen Guckkastenbühne, ins Dunkel auszuschließen, lässt sie ihn zum Teil des Raums werden.
Auch wenn es sich hier um organische Architektur handelt, entstand diese doch aus umfangreichen Tests und Berechnungen, die der Architekt mit den Akustikern gemacht hat. Scharoun hat nichts von einem Formalisten: Erst als er den Innenraum definiert hatte, „verpackte“ er den Saal mit seiner Fassade. Den seltsamen und komplexen Raum zwischen der Unterseite des Saals und der Außenhaut des Gebäudes besetzen Kassen, Bars, Läden, Garderoben, Toiletten und das großzügige Foyer.
Hans Scharoun spielt hier mit einer kleinen Wendeltreppe oder mit Balkonen und Stufen, die dann eine Landschaft bilden, die in den Pausen belebt wird. Und obwohl man sich (denn Ökonomie begrenzt) an einem Ort aus weiß gestrichenem Beton befindet, offenbart dieser doch ein paar außergewöhnliche, charmante Details: So gibt es etwa neben den großen Spiegeln, vor denen die Besucher nach der Toilette vor dem zweiten Teil des Konzerts noch einmal ihre Kleidung richten können, kleine Ablagen aus Holz für die Handtaschen.
Das Gebäude, dessen Stil nicht mehr unbedingt dem Geschmack unserer Zeit entspricht und das auf den ersten Blick weniger beeindruckt als der Stahltempel von Mies van der Rohe, könnte als Vorgänger räumlicher Gestaltungen von Architekten wie Rem Koolhaas (Urheber der niederländischen Botschaft in Berlin) oder Frank O. Gehry, den man mit dem Gebäude der DZ Bank am Pariser Platz wiederfindet, angesehen werden.
Fünfzig Jahre nach ihrer Einweihung ist die Philharmonie nicht nur ein Meisterwerk, sondern auch eine Lehrstunde. Sie lässt verstehen, dass Architektur nur bedingt eine Angelegenheit von Fassaden ist, sondern vielmehr des Raumes und der Körper, die sich darin bewegen. Da diese Empfindung sich kaum durch Fotografie vermitteln lässt, sollte man das Gebäude, um es zu verstehen, einmal besuchen (täglich um 13.30 Uhr – Reservierung empfohlen) oder, viel besser noch, dort ein Konzert hören. Zum Beispiel die Musik des mystischen Komponisten Olivier Messiaen, gespielt von den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Simon Rattle – dabei taucht der Klang den Raum, weit über den Humanismus von Scharoun hinaus, in ein ganz besonderes Licht.