piwik no script img

Das ganz normale Pferdequälen

■ Videos zeigen Paul Schockemöhle beim Pferdeschlagen: Fachwelt heuchelt Entsetzen, doch „Barren“ gehört zum Alltag

Berlin (taz) - Die Pferdewelt stürmt im Wasserglas: Paul Schockemöhle, einer der erfolgreichsten Springreiter und Pferdezüchter der Welt, wird öffentlich der Tierschinderei bezichtigt. Videofilme, die der 'Stern‘ und die 'Sports‘ in Standbildern veröffentlichten, dokumentieren, wie der sechsfache Deutsche Meister und dreifache Europameister mit Holzstangen Pferden beim Sprung über Hindernisse auf die Beine schlägt, damit sie höher springen. Dieses sogenannte „Barren“ ist von der Internationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI) verboten und gilt als Tierquälerei.

Doch mag die Öffentlichkeit noch so laut Zeter und Mordio schreien, das Barren ist im Springsport Usus. Es gehört zum Alltag und zählt noch zu den gemäßigten Mitteln, ein Pferd zum Springen zu bewegen. Jeder Fachjournalist - und nicht wenige brüsten sich damit, bei Paul Schockemöhle ein und aus zu gehen - muß um diese Methoden wissen, auch im berühmtesten Springstall der Welt. Aber wer will es sich verderben mit dem einflußreichsten Pferdemenschen in der BRD? Keine Einladung mehr zur Elite-Auktion, kein guter Kauftip, kein bißchen Glanz und Gloria, ganz abgesehen vom Abgeschnittenwerden von jeglicher Information.

Doch man muß kein Intimus von Spitzenspringreitern sein, um von verbotenen Zäumen in verschlossenen Schränken zu wissen. Es genügt völlig, sich während großer Turniere bei den Stallungen aufzuhalten und den Befehlen an die PferdebetreuerInnen zu lauschen: Lappen sollen sie mitnehmen, um das Blut von den durch Sporen aufgeschlitzten Pferdebäuchen zu wischen, den (unerlaubten) Zaum wegschließen etc.

All diese Dinge sind seit langem bekannt. Und sie werden gedeckt. Was nutzen da aufgeblasene Scheindiskussionen, in denen Paul Schockemöhle gegenüber der 'Sports‘ natürlich erklärt, daß er kein Anhänger von Barren sei.

Was hatte man erwartet? Daß sich der erfolgreiche Geschäftsmann, der seinen ersten Mammon mit Hühner-KZs verdiente, sich reuevoll der Tierquälerei schuldig bekennt, um sich geduckten Hauptes der FEI auszuliefern? So ist sein Meinungsumschwung nach der Enttarnung natürlich folgerichtig: „Man muß da differenzieren. Barren ist eine Erziehungsmethode, um das Pferd ans Springen zu bringen. In den USA ist Barren mit einer Bambusstange zulässig. Hier gibt es kein Bambus, also nimmt man eine dünne Holzlatte. Ich bin dafür, daß man dies auch bei uns erlaubt, wenn es fachmännisch gemacht wird, dann ist es keine Tierquälerei.“

Fachmännisch Schmerz zufügen tut demnach nicht so weh. Deshalb lehrt der Millionär, der sich keine Bambusstöcke leisten kann, der Creme de la creme der Springreiter diese Erziehungsmethode. Der Großteil ist ohnehin bei ihm in Mühlen angestellt. In den Filmen ermuntert Schockemöhle, der mit diesen Videos nach eigener Aussage erpreßt worden sei, seine Mitarbeiter: „Dem da könnt Ihr ruhig noch einen zimmern vorn, der kann das ab.“ Für die Angestellten, Profis seit Jahren, ist das normal. Auf den Videobändern reiten Otto Becker, Evelyn Blaton und Rene Tebbel die Pferde, Franke Sloothaak und Ludger Beerbaum, die Goldmedaillen -Gewinner von Seoul, schauen zu.

Sie werden schließlich dafür bezahlt, Pferde zum Springen zu kriegen, damit Schockemöhle sie teuer verkaufen kann. So entstammen die Aufnahmen Videobändern, die von den Pferden im Vorfeld der oberelitären schöckemöhlschen PSI -Pferdeauktion gemacht und potentiellen Kunden zugesandt werden. Dreimal gebarrt, und schon legt das mit Spiritus auf Hochglanz polierte Geschöpf die Vorderbeine lückenlos und graziös an den Bauch, und überspringt das Hindernis mit Abstand. „Hervorragende Springmanier“, heißt das im Fachjargon und ist gleichbedeutend mit klingender Münze: Die letztjährige Auktion hatte einen Umsatz von 10,7 Millionen Mark.

Paul Schockemöhle ist sauer ob der wenig verkaufsfördernden Veröffentlichung, zumal er auch einer Anzeige vom Deutschen Tierschutzbund ins Auge sehen muß. Er distanziert sich, beteuert, fachgerechte Methoden anzuwenden. Doch ein Satz des Pferdehändlers trifft tatsächlich den Kern der Sache: „Es ist ein Fehler meinerseits, daß ich in der Vergangenheit innerbetrieblich zu wenig auf eine Sprache geachtet habe, die der Sensibilität der Öffentlichkeit gerecht wird.“ Da hat er recht.

Um nichts anderes geht es nämlich: Nicht nach außen dringen lassen, was Springen für Pferde bedeutet. Denn nur der Kenner weiß, daß kein Pferd freiwillig springt. Es ist ein Lauftier, welches schon aufgrund des Körperbaus jeden Sprung vermeidet: Eine halbe Tonne Gewicht mit verhältnismäßig dünnen Beinen und Gelenken aufzufangen, schmerzt schon ohne Reitergewicht. In freier Wildbahn machen sie, selbst wenn sie es eilig haben, eher einen Umweg, wie der Journalist Horst Stern bewies.

Das ganze Geschwätz von Harmonie zwischen Reiter und Pferd, von Vertrauen und innigem Verhältnis, das man immer wieder in Sportreportagen zu hören bekommt, ist purer Unsinn. Ebenso der Glaube so vieler Pferdebesitzer, sein Pferd springe von Natur aus ja so gerne. Sicher: Man kann Pferden das Springen beibringen. Aber im Gegensatz zu den Bewegungen der Dressur ist Springen gegen die Natur und schadet.

Diejenigen, die der Kreatur schaden, tragen selber keinen davon. Sloothaack und Beerbaum, der jetzt in Buchloe zu Hause ist, sind bereits für die WM vom 27. Juli bis 5. August in Stockholm qualifiziert. Tebbel muß sich am Wochenende in Luxemburg mit Karsten Huck um die vierte WM -Fahrkarte streiten. Der „Fall Schockemöhle“ wird wohl keine Konsequenzen in Form von Sperren haben. Springreiter -Bundestrainer Herbert Meyer: „Im übrigen gestattet uns schon der Nennungsschluß nicht, noch eine ganz andere Mannschaft zu benennen.“ So ein Pech.

Michaela Schießl

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen