■ Das fünfte Szenarium: Die Israelis waren's: Neues über den Abschuß der DC 9
Rom (taz) –Mehr als ein Dutzend Jahre haben Enthüllungsjournalisten, Staatsanwälte und Hinterbliebene hinter dem mysteriösen Absturz einer DC-9-Linienmaschine der italienischen Fluggesellschaft Itavia nahe der Mittelmeerinsel Ustica herrecherchiert. Am Ende gab es immer noch keine endgültige Klarheit außer der Tatsache, daß die DC 9 abgeschossen und nicht, wie von der italienischen Regierung, den Geheimdiensten und dem Militär behauptet, aufgrund von Materialermüdung abgestürzt ist. Doch nun gibt es die letzte Wahrheit über den mutmaßlichen Abschuß des Linienfliegers: „Il quinto scenario“, („Das fünfte Szenarium“) heißt ein Buch des Publizisten Glaudio Gatti und seiner Frau Gail Hammer, und das Ergebnis: Nicht, wie bei den bisherigen Ideen, die Italiener (erstes Szenarium), die Amerikaner (zweites), die Libyer (drittes) oder gar die Franzosen (viertes Szenarium) seien die Schützen gewesen, die da abends gegen 21 Uhr das ahnungslose Flugzeug wohl versehentlich mit einigen Raketen vom Himmel geholt haben, sondern – die Israelis. Die nämlich sollen, laut Gatti/ Hammer, die DC 9 für das französische Cargo-Flugzeug gehalten haben, mit dem die Franzosen dem Irak zwei Dutzend Kilo angereichertes Uran für dessen geplante Atombombe geschickt haben. Das freilich war längst in Bagdad gelandet, zwei Tage vorher. Israels damaliger Premier soll sich, so die weiteren Gedankenwege der Autoren, über die Sache so aufgeregt haben, daß er drei Tage danach seinen ersten Herzinfarkt bekam.
Mit recht plausiblen Argumenten erklären Gatti und Hammer zunächst einmal, daß der beste Ort für einen geplanten Abschuß tatsächlich die Gegend nördlich von Palermo war – da tummeln sich so viele Nato-Flugzeuge, daß kaum jemand ernsthaft glauben könnte, ein paar eingeschmuggelte Phantomjäger kämen mit bösen Absichten daher. Auch daß man den Cargo- Jet vom Himmel holen wollte, ist nicht unwahrscheinlich – schließlich lebte Israel damals wirklich mit dem Alptraum, einer der feindlichen Nachbarn könne die Atombombe bauen. Dennoch überwiegen Ungereimtheiten im „fünften Szenarium“: Warum sollten hochspezialisierte israelische Piloten einen dicken Airbus 300, mit dem die Fracht geliefert werden sollte, mit einer schlanken DC 9 verwechseln, die eindeutig die Farbzeichnung der Itavia trug? Daß die schlauen Franzosen ihren Frachter zur Tarnung italienisch angestrichen haben könnten, wäre möglich, doch die Verwechslung des Flugzeugtyps durch gleich zwei Pilotenbesatzungen erscheint völlig ausgeschlossen.
Aber warum haben gerade bei einer israelischen Schuld die italienischen Geheimdienste lammfromm alles mehr als ein Jahrzehnt gedeckt und viele höchste Offiziere sich sogar Strafverfahren eingehandelt? Traditionell gibt es in den italienischen Intelligence- und Verteidigungsbehörden stets eine pro-israelische und eine pro-arabische Fraktion, und beide arbeiten seit jeher mit Indiskretionen über die jeweilige Gegenseite. Daß es in all den Jahren nicht einmal eine Andeutung von Verdächten gegenüber Israel gegeben hat, spricht eher dafür, daß diese wirklich nichts mit der Sache zu tun haben – was im übrigen auch ex-sowjetische Stellen bekräftigen, die während der Abschußzeit hastige Militärmanöver der Amerikaner in der fraglichen Zone erspäht haben.
Tatsächlich könnte nach Ansicht aller Kenner der Geheimdienst-Szene nur in einer Verwicklung der Amis ein Grund für die massive Vernebelung der Wahrheit gewesen sein – sämtliche Seilschaften der italienischen Behörden, gleich welcher Neigung, hören in jedem Falle auf das, was die CIA befiehlt. Werner Raith
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