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■ Das bequeme Friedensengagement im bosnischen KriegAuf Kosten der Opfer

Die „ethnische Säuberung“ der Region Banja Luka im Nordwesten Bosniens ist in ihre Schlußphase getreten. Die letzten 200.000 Menschen nichtserbischer Nationalität werden dort aus ihrer Heimat vertrieben. Nach der Eroberung von Bosanski Brod kontrollieren die Serben einen zusammenhängenden Landkorridor von Ostslawonien bis Knin. Das Ziel, ein „ethnisch reines“ Groß-Serbien, rückt in greifbare Nähe. Während dies geschieht, diskutiert die deutsche Friedensbewegung über ihre Haltung zum Krieg im ehemaligen Jugoslawien.

Diese Auseinandersetzung ist auch ein Streit über die Lehren, die aus der deutschen Geschichte zu ziehen sind. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die der Überzeugung nachhängen, daß niemals wieder deutsche Soldaten in anderen Ländern zum Einsatz kommen dürfen. Dies entspricht einer grundlegenden Erfahrung aus zwei von Deutschland angezettelten Kriegen, die jeweils in schwere Niederlagen mündeten. Es verwundert deshalb nicht, daß die Gegner einer Befreiung der Lager und der Entwaffnung der Terrorverbände durch die Vereinten Nationen die möglichen Risiken einer polizeilichen Intervention extrem überhöhen.

Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die vom vereinten Deutschland erwarten, daß es aus historischer Verantwortung seine Außenpolitik in den Dienst der Verwirklichung von Menschenrechten und Demokratie stellen solle.

Vor diesem Hintergrund sind die beiden hauptsächlichen, im alternativen Milieu gegen die Befreiung der Lager und die Entwaffnung der paramilitärischen Verbände vorgebrachten Argumente zu bewerten. Gegen eine Intervention spreche erstens, daß mit dem Einsatz von Gewalt niemals Konflikte gelöst werden können. Zum zweiten sei der zu betreibende Aufwand derart groß und mit so hohen Risiken verbunden, daß eine Intervention die proklamierten Ziele der Rettung von Menschen nur mit weitaus größeren Verlusten an Menschenleben erreichen könnte.

Da klar ist, daß eine Haltung des Nichtstuns ethisch nicht verantwortet werden kann, wird vehement ein Embargo gefordert, das aus pazifistischer Sicht einen großen Vorteil aufweist: „Niemand muß dafür ins Kriegsgebiet, niemand muß schießen“, wie Vera Wollenberger und Gerd Poppe vom Bündnis 90/Grüne meinen.

Das Embargo, das Instrument zur „Austrocknung“ des Krieges, weist den Vorteil auf, daß vor allem die direkten Anrainerstaaten des ehemaligen Jugoslawien für seine Einhaltung verantwortlich wären. Mit ihm könnte, so das immanente Kalkül, die Forderung nach direkter deutscher Beteiligung an seiner Überwachung und Durchsetzung abgewehrt werden. Die Bundeswehr könnte im Lande bleiben, und das oberste Ziel der Friedensbewegung — die Abwehr des Einsatzes deutscher Militäreinheiten im Ausland — wäre noch einmal gesichert. Zur Durchsetzung ihres Zieles sind weite Teile des alternativen Milieus bereit, ein großes Opfer zu bringen: das Blut der anderen.

Löst Gewalt Konflikte?

Unzutreffend ist die Behauptung, daß „Gewalt“ Konflikte nicht zu lösen imstande ist. Es gibt leider Situationen, in denen Gewalt eingesetzt werden muß, damit Menschen unmittelbar geholfen oder die notwendigen Voraussetzungen für politische Lösungen geschaffen werden können. Nazi-Deutschland mußte erst im Krieg besiegt werden. Die vietnamesische Armee mußte erst in Kambodscha einmarschieren, um den Völkermord der Roten Khmer zu stoppen.

Andreas Buro, der für das Netzwerk Friedenskooperative ein Memorandum zur Konfliktbeilegung im ehemaligen Jugoslawien vorgelegt hat, weiß das im Grunde auch. Er gesteht nämlich zu, daß in Bosnien-Herzegowina der vor dem Ausbruch der serbischen Aggression bestehende Zustand nicht wieder hergestellt werden könne. Seine Vorschläge laufen darauf hinaus, die Aufteilung Bosnien- Herzegowinas zu akzeptieren. Der Bürger eines Staates, dem keine Macht den Anspruch auf Eigenstaatlichkeit streitig macht, fordert also von kleinen Völkern, sich dem Diktat des Stärkeren zu beugen.

Eine ähnliche Zumutung findet sich auch innerhalb der Grünen. Heißt es doch in einem Positionspapier aus der Bundesarbeitsgemeinschaft „Frieden“: „Unter dem Primat der Rettung von Menschenleben stellt sich heute für Bosnien-Herzegowina [...] folgende Frage: Wäre nicht eine einseitige Kriegsbeendigung unter Voraussetzung des freien Abzugs aus den bedrohten Städten und Dörfern sowie der Lager [...] bei den aktuellen Umständen die einzig vernünftige Konsequenz, einem weiteren Gemetzel zu entgehen?“

Nur scheinbar wird hier dem Primat der Rettung von Menschenleben gefolgt. Es wird vielmehr dem Recht des Stärkeren das Wort geredet. Aggressoren erhalten einen Freibrief. Der Gewaltandrohung würde die Unterwerfung notwendig folgen. Als „Frieden“ kann der sich einstellende Zustand wohl kaum bezeichnet werden.

Die aus den Reihen der Friedensbewegung vorgelegten Überlegungen zur friedlichen Beilegung des Konflikts sind nützlich. Sie können aber erst dann greifen, wenn nach einer Intervention zur Entwaffnung der paramilitärischen Verbände Waffenruhe hergestellt werden konnte. Dies nicht eingestehen zu wollen, rückt die Friedensbewegung ins Zwielicht und zehrt an ihrer moralischen Glaubwürdigkeit.

Die Risiken, die mit einer Befreiung der Lager und der Entwaffnung von Terroristen verbunden sind, können nicht eindeutig festgelegt werden. Es muß allerdings bedacht werden, daß sämtliche Angaben über den zu betreibenden Aufwand und die potentiellen Reaktionen der Aggressoren, die durch die Medien geistern, politisch manipuliert sind, weil die europäischen Regierungen kein Interesse an einer Intervention haben.

Militärische Interventionen zur Sicherung der Verfügung über strategische Rohstoffe wie Öl werden durchgeführt. Dies hat der zweite Golfkrieg gezeigt. Ein polizeiliches Vorgehen gegen die Ausübung von Terror wird nicht in Erwägung gezogen. Dies zeigt die Doppelbödigkeit und Heuchelei europäischer Politik, die so gern und so viel über Menschenrechte und Demokratie redet. Dies sollte doch zu denken geben.

Die Forderungen des „Forum für Frieden und Versöhnung im ehemaligen Jugoslawien“, zu dem sich vom 17. bis 20.9. 1992 in Verona mehr als 100 Friedensgruppen und Oppositionsparteien aus dem ehemaligen Jugoslawien und dem übrigen Europa trafen, um Wege aus der Gewalt zu finden, sollte der deutschen Friedensbewegung und weite Teile der Grünen zu einem Überdenken ihrer bisherigen Haltung veranlassen. Die dort Versammelten stimmten darin überein, daß als Vorbedingung für eine politische Lösung sofort und umstandslos Maßnahmen zu ergreifen sind, mit denen die Vertreibungen, die Bombardierungen und die Erschießungen beendet werden können. Sie kritisierten in diesem Zusammenhang die gegenwärtig geführte Debatte über ein militärisches Eingreifen: „The Forum noted that international military intervention — through the agression against Bosnien-Herzegowina, and then through UN forces police intervention which may request the use of military force under UN authority, arms purchases, and other means — has already begun. The present UN intervention, however, has set no clear aims and therefore no clear means to achieve anything.“ Angesichts dieser Situation plädierte das Forum für eine grundsätzliche Neudefinition des Auftrags der von den Vereinten Nationen entsandten Kräfte Es forderte die Errichtung eines UN-Protektorats „Bosnien-Herzegowina“. Dieter Weiser

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