: Das Wunderkind wird zum Chef
Mit einer fast komplett neu formierten Mannschaft gehen die Dallas Mavericks kommende Woche in die Saison der Basketball-Liga NBA. Die Hauptlast trägt nach dem Weggang von Point Guard Steve Nash nun der deutsche Team-Veteran Dirk Nowitzki
VON JOACHIM MÖLTER
Vor zwei Wochen kam die Meldung über den Atlantik, der Basketball-Profi Dirk Nowitzki sei bei einem Testspiel mit dem Fuß umgeknickt und dann in die Kabine gehumpelt. Man sorgte sich schon um seine Karriere, weil ihm das nicht zum ersten Mal passiert ist. Aber sein Privattrainer Holger Geschwindner beruhigt: „Es ist alles okay. Jedes Mal, wenn er umknickt, herrscht gleich Alarmstimmung.“
Der 2,12 Meter große Würzburger darf nicht einknicken, er ist eine tragende Säule des NBA-Klubs Dallas Mavericks, mehr denn je in der neuen Saison, die nächsten Dienstag beginnt. Der Klub hat ja den Kollegen Steve Nash zu den Phoenix Suns ziehen lassen müssen, damit fehlt eine Stütze des Teams. Da sich auch die geballte Offensivmacht der letzten Saison mit Antoine Walker und Antawn Jamison schon wieder verflüchtigt hat, wird die Last neu verteilt, einen Großteil soll Dirk Nowitzki schultern. Der 26-Jährige sagt, er habe sich schon gedacht, dass Teambesitzer Mark Cuban und Chefcoach Don Nelson die Mannschaft umbauen würden, „nachdem wir letztes Jahr so kläglich gescheitert sind in den Play-offs“, nämlich gleich in der ersten Runde. Aber dass sie die Abwerbung von Nash durch Phoenix zuließen, das den 30-Jährigen mit einem fetten 52,6-Millionen-Dollar-Vertrag für fünf Jahre lockte, hat ihn dann doch verblüfft. „Da war ich schon geplättet, sportlich kann man ihm ja nichts vorwerfen“, sagt er angesichts des Umstands, dass Nash als einer der besten Spielmacher der Liga gilt – und zudem ein idealer Partner auf dem Spielfeld war.
Nash & Nowitzki waren vor sechs Jahren gleichzeitig nach Dallas gekommen, der Spielmacher aus Kanada und der Punktelieferant aus Deutschland trugen maßgeblich bei, dass sich das marode Unternehmen Mavericks zum Marktführer in Sachen Offensiv-Basketball entwickelte. Sie sind dabei auch noch Freunde geworden. „Auf dem Spielfeld ist jeder zu ersetzen“, sagt Nowitzki, „aber ich werde Steve sicher sehr vermissen als Menschen.“ Mit Nashs Weggang beginnt jedenfalls eine neue Phase in Nowitzkis Karriere: „Ich werde auf jeden Fall Führungsspieler sein.“ In dieser Rolle hat sich der zurückhaltende Franke früher nie wohl gefühlt; dass er sie nun annimmt, hören sie bei den Mavericks gern: Es ist das Signal für einen neuen Aufbruch.
Die vorige Saison war ja die erste in diesem Jahrtausend gewesen, in der es nicht voran ging, weder für die Mavericks, noch für Nowitzki. Der Punktedurchschnitt des Flügelspielers sank erstmals, von 25,1 auf 21,8. Nowitzki war zu Saisonanfang allerdings von einer Sprunggelenksverletzung lahm gelegt worden, und die Mannschaft kam auch nie so recht in Schwung, weil Cuban und Nelson viele neue Leute geholt hatten ohne Rücksicht auf Reibungsverluste. „Es war ein verlorenes Jahr“, sagt Nowitzki heute.
Aber es hatte auch etwas Gutes: Durch das frühe Ausscheiden in den Play-offs gewann er einen langen Sommer, den längsten, seit er in Amerika spielt. Er nutzte ihn, um neue Kräfte zu sammeln. Mit Holger Geschwindner trainierte er in Deutschland so oft und so hart wie selten zuvor, und bevor er Anfang Oktober in die USA zurückflog, resümierte Dirk Nowitzki: „So fit wie im Moment war ich noch nie. Mehr hätte ich gar nicht mehr machen können.“ Schon in der EM-Qualifikation des deutschen Nationalteams im September staunten die Mitspieler derart über den neuen Nowitzki, dass Geschwindner nach den ersten Partien die Order gab, „zwei Gänge runterzuschalten, damit die anderen auch ins Spiel kommen“.
In Dallas muss sich Dirk Nowitzki nun auf viele neue Nebenleute einstellen, bis auf den alternden und zunehmend verletzungsanfälligen Kapitän Michael Finley ist ja so gut wie keiner mehr übrig geblieben von der früheren Mannschaft. Chefcoach Don Nelson hat vor allem abwehrstarke Profis engagiert, weil die Mavericks in den Play-offs stets an ihrer Defensivschwäche gescheitert sind; Nelson hat aber auch den Center Erick Dampier verpflichtet, der im Angriff Freiräume für Dirk Nowitzki schaffen soll. Dazu ist der wurfgewaltige Jerry Stackhouse gekommen, der nach Verletzungsproblemen zunächst als Einwechselspieler eingeplant ist. Man darf gespannt sein, ob sich der ehemalige All-Star damit zufrieden gibt.
Die Mavericks stecken jedenfalls im größten Umbau, seit der Milliardär Mark Cuban das Team vor fünf Jahren gekauft hat. „Das ist das erste Jahr, in dem ich wirklich begeistert bin“, schwärmt er schon – obwohl Dallas mehr Vorbereitungsspiele verloren hat als gewonnen. Das allein ist aber noch kein Grund für Alarmstimmung, findet Dirk Nowitzki. „Es wird alles darauf ankommen, wie schnell sich die Mannschaft zusammenfindet. Ich bin bereit.“ Das bewies er zum Beispiel am Donnerstag, als er beim 112:93-Sieg gegen die Sacramento Kings mit 30 Punkten glänzte. Nun muss es ab Dienstag, wenn es zum Auftakt der NBA-Saison erneut gegen die Kings geht, bloß noch ähnlich laufen.