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Das Wochenende ist eher im KonjunktivSex ist mir ein Dorn im Auge

Ausgehen und Rumstehen

von Detlef Kuhlbrodt

F reitag

Am Nachmittag hört man kurdische Gesänge vom Blücherplatz. Manchmal klingt es auch so, als ob weiter im Hintergrund eine Demonstration vorbeiziehen würde. Vielleicht sind es nur Touristen, die irgendetwas singen. Zum Beispiel „Tits and Bushes“, wie diese australischen Touristen, die man vor 16 Jahren einmal in London beobachtet hatte.

Das Wochenende ist eher im Konjunktiv. Ich spiele zum Beispiel ein bisschen „Candy Crush“ oder Schach im Internet und stelle mir alles vor. Zum Beispiel ins Freilichtkino zu gehen. Und wenn meine Vorstellung zu Ende ist, brauche ich nicht mehr nach Hause zu gehen, weil ich dort ja schon bin und die Veränderungen der Pflanzenwelt auf dem Balkon beobachte. Ansonsten ist alles ruhig und ohne besonderen Vorkommnisse.

Samstag

Am Samstag gehe ich zu Lidl und wundere mich, dass ich es nie schaffe auf dem Hinweg den kürzesten Weg zu gehen. Beim Zurückgehen finde ich dagegen immer den kürzesten Weg selbst mit geschlossenen Augen. Ich kaufe eine Banane, Milch, Aufschnitt, Bier und „Balkanpfanne“. Ein netter Rollstuhlfahrer sagt zum Pfandautomaten: „Der mag mich nicht.“

Auf meiner Facebookseite gibt es kiloweise Häme und Gemeinheiten gegen diese neumodische Volksbühne und ihre Kommunikationsmaßnahmen, für die auch Mercedes Bunz mit zuständig ist. Die Postings klingen wie Kafka und Deleuze mit Dr. Motte gelesen. Die ehemalige Chefredakteurin von de:bug und zitty, die lange auch für den Guardian in London tätig war, ist jedenfalls mit im Team. Als sie noch in der Solmsstraße wohnte, hatte ich ihr mal einen Text ausgedruckt, weil sie noch keinen Drucker hatte. Keine Ahnung woher wir uns kannten – vermutlich über die „Botschaft e. V.“.

Sonntag

Ich gehe spazieren am Ufer des Landwehrkanals. Andere machen das gleiche. Vom Prinzenbad her kommt Musik. Es klingt ein bisschen wie früher bei der „Love Week“. Neugierig gehe ich Richtung Schwimmbad. Vor dem Eingang informieren bunte Plakate, dass es sich um den „Queer Summer Splash“ handelt, den „Freibad-Tag für Schwule, Lesen und Trans*“. Den ganzen Tag über gibt es ein buntes Treiben mit verschiedenen Programmpunkten. Um 17 Uhr wird zum Beispiel das Fussball-Europameisterschaftsfinale der Frauen gezeigt und um 20 Uhr spielen die „Gabies“

Gabi kenn ich auch schon eine Weile – sie ist Lehrerin und mittlerweile in Rente, tritt aber immer wieder mal bei Tucholski-und Heinrich-Zille-Abenden auf –, da ich aber weder schwul, lesbisch noch trans bin, fühle ich mich nicht richtig eingeladen. Überhaupt ist mir Sex eher ein Dorn im Auge.

Vielleicht denke ich das auch nur, um zu verdrängen, dass es mir eventuell doch auch Spaß gemacht hätte; nicht allein, sondern mit meinen Raverfreunden von früher, dabei gewesen hätte zu sein gewesen. Am Rande hätten wir gekifft und Bier getrunken; da und dort hätten wir rumgesessen und mit Leuten über Leute geredet und zwischendrin gebadet und die, die nicht so vegan sind, hätten Currywürste gegessen. Aber ich habe sowieso keine Badesachen dabei, das hätte eh nicht funktioniert.

Die Musik klingt wie billiger Techno von früher. Eine Frau bei den Fahrradständern lächelt mir nett zu, als ich vorbeigehe. Ich freue mich sehr über ihr Lächeln und gehe die Gitschiner dann wieder zurück Richtung Hallesches Tor. Vor diesem Club, gleich beim Prinzenbad stehen viele Autos, SUVs vor allem. Die Leute sehen alle recht schick aus. Also eher, als handle es sich um eine Hochzeit, als um eine Party, die sich mit der der queren Prinzenbadparty vermischen könnte, aber man weiß das ja auch nicht.

Am Abend stelle ich mir vor, zwei Bier zu trinken und dann schön zu schlafen.

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