■ Das Waffenembargo muß nun fallen: Bosnien wird zum Grab der UNO
In Srebrenica ist nicht nur der mutmaßliche Tod von Tausenden von Menschen zu beklagen. Es ist auch ein Grab für die UNO geschaufelt worden. Und weitere Gräber sind für die Illusionen „friedlicher Konfliktbewältigung“ im Bosnienkrieg schon ausgehoben. Alle, die immer wieder auf scheinbar rationale Verhandlungsstrategien gesetzt haben, die zwar in gutem Glauben, aber dennoch für die Menschen in Srebrenica und Bosnien insgesamt verhängnisvoll, den Verteidigern die Waffen vorenthalten wollten, sind gescheitert. Die Politik der Beschwichtigung dem Aggressor gegenüber hat diesen nur ermuntert – nicht aufgehalten. Mit der damit übernommenen Verantwortung müssen nicht nur die Regierungen, einschließlich der in Bonn, sondern auch die deutschen Pazifisten fertig werden.
Bei der UNO, der „größten Friedensmacht“, ist selbstverständlich auch nach dem Fall Srebrenicas kein Wille zu bemerken, das Steuer noch einmal herumzureißen. Niemand in Bosnien will noch mit Yasushi Akashi reden, er ist zur Karikatur eines Unterhändlers verkommen. Vielleicht hat er zu lange in der Zwischenwelt der internationalen Organisationen agiert. Realitätsverlust und die Produktion von Illusionen sind die Folgen. Die Ignoranz und die Selbstgefälligkeit der UNO-Bürokraten wären ja nicht weiter bemerkenswert, hinge nicht (auch) von diesen Leuten das Schicksal Abertausender von Menschen ab.
Diesem ungeheuerlichen Versagen liegt die Selbstlüge zugrunde, man könne mit politischen Extremisten wie dem serbischen Kriegsverbrecher und Heerführer Mladić und dem Psychopathen Karadžić auf rationaler Grundlage verhandeln. Worte und Vereinbarungen, Absprachen und Verträge zu brechen entschuldigt sich in deren Bewußtsein jedoch „durch den Dienst an der serbischen Sache“ (früher dem „Dienst am Sozialismus“, oder auch nur damit, noch ein Milliönchen für sich selbst herauszuschlagen). Barbaren werden nicht zivilisiert dadurch, daß ihnen die Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft die Hände drücken. Das Ergebnis ist lediglich, daß diese „Verhandlungspartner“ zu anerkannten Politikern erhoben werden, an deren Politik sich nichts zu ändern braucht.
Das Mandat, so wie es von der UNO seit 1993 definiert und praktiziert wurde, bei dem alle „Konfliktparteien“ als gleichberechtigt eingestuft sind, schuf die Grundlage für diese illusionäre UNO-Politik. Daß es sich bei dem Mandat jedoch um gar nichts anderes als nur um den kleinsten Nenner der divergierenden Interessen der Großmächte handelte und keineswegs den Schutz der bosnischen Bevölkerung einschloß, wurde ausgeblendet – auch in der deutschen Öffentlichkeit. Daß Westeuropa durch den Krieg in Bosnien tief gespalten wurde und umrißhaft sogar ein neuer Ost-West- Konflikt, ein neuer Gegensatz USA–Rußland in Bosnien herauszukristallisieren begann, wurde geflissentlich verdrängt. Lange Zeit monierten nur noch Außenseiter, daß grundlegende Kategorien des Völkerrechts und der Menschenrechte mit den Teilungsplänen und der Akzeptierung nationalistischer Kategorien durch die Weltorganisation auf der Strecke blieben. Die serbische Aggression in Bosnien konnte von den UNO-Bürokraten erfolgreich zum „Bürgerkrieg“ herabgestuft werden.
Die Öffentlichkeit folgte dieser Sprachregelung, weil sie lieber Illusionen anhing, als die notwendigen Konsequenzen aus dem Geschehen auf dem Balkan zu ziehen. Man hätte ja eigene, liebgewonnene Vorstellungen verändern müssen ... Auch die Resolution, die der Bundestag kürzlich verabschiedete, spiegelt dies. Die deutsche Verantwortung wird an die UNO delegiert. Wenn die Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth sogar davon sprach, Srebrenica zeige, daß die UNO-Präsenz für die Menschen wichtig sei, verhöhnte sie (hoffentlich ungewollt, aber mit genauso fataler Konsequenz) die Opfer von Srebrenica.
Es war gerade die so hoch gelobte UNO-Politik, die Srebrenica und seine Menschen ins Verderben stürzte. Die Forderung Akashis, die „Demilitarisierung“ der Enklaven in Srebrenica, Žepa, Goražde, sogar in Sarajevo und Bihać, vollständig durchzusetzen, hat die Menschen direkt dem serbischen Aggressor ausgeliefert. Daß Akashi und Butros Ghali jetzt folgerichtig jegliche Aktion der Nato zum Schutze der Enklaven zu verhindern suchen, kam für die bosnische Bevölkerung nicht mehr überraschend. Und daß diese Politik zudem Radovan Karadžić die Gelegenheit bietet, seinerseits einen Gebietsaustausch anzubieten (Teile des Umlandes um Sarajevo gegen Goražde), läßt auf Weichenstellungen im Hintergrund schließen. In den ostbosnischen Enklaven wird bald „Frieden“ herrschen, die Bevölkerung ist weg und Karadžić hat seine Eroberungen abgerundet. Und die UNO braucht in den Enklaven nicht mehr mit Truppen präsent zu sein. Dann wäre die von der UNO-Führung angepeilte „Friedenslösung“ da: Die Teilung Bosniens nämlich wäre dann vollendet. Ob dieses Kalkül jedoch aufgeht, sei dahingestellt. Noch ist Goražde nicht gefallen, zudem gewinnt die bosnische Armee an anderen Fronten. Die ostbosnischen Enklaven symbolisieren für die Bosnier weiterhin den Anspruch auf die Wiederherstellung eines ungeteilten bosnisch-herzegowinischen Staates.
Nicht alles, was die UNO in Bosnien geleistet hat, muß in Bausch und Bogen verworfen werden. Vom Straßenbau bis zur Schaffung von erträglichen Rahmenbedingungen für die internationalen Hilfsorganisationen zieht sich eine Reihe von Aktivitäten, die nützlich sind. Doch mit der Politik Akashis hat die UNO selbst das überparteiliche Mandat aufgegeben und offen zugunsten der Aggressoren Partei ergriffen. Deshalb ist es nur folgerichtig, wenn nun die bosnische Regierung den Rückzug der UNO verlangt. Das Mandat läuft im November ab. Auch das der europäischen Eingreiftruppe ist obsolet geworden. Nur bei einer Veränderung des Mandats und personeller Konsequenzen ist der Verbleib der UNO in Bosnien-Herzegowina jetzt noch denkbar.
Immerhin ist mit Srebrenica das letzte Argument für die Beibehaltung des Waffenembargos gegenüber Bosnien gefallen. Dies wird sich sicherlich in der Diskussion im amerikanischen Kongreß niederschlagen. Die Drohung Frankreichs und Großbritanniens, unter diesen Umständen die eigenen UNO-Truppen zurückzuziehen, zieht zudem nicht mehr, weder in Bosnien noch in den USA. Die Bosnier selbst sind es, die Sarajevo, die Bosnien befreien müssen. Der Schutz der Bevölkerung kann nur durch eigene militärische Mittel gewährleistet werden. Die Fronten werden bald geklärt, auch auf dem internationalen Feld. Bald wird sich noch deutlicher als bisher zeigen, wer welche Position im Kriege einnimmt. Ob allerdings die westeuropäischen Mächte es sich leisten können, auf Dauer die amerikanische Politik der Stützung Bosniens zu konterkarieren, ist fraglich. So steckt auch in der Niederlage von Srebrenica ein bißchen Hoffnung.
Erich Rathfelder
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