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■ Das Waffenembargo gegen Bosnien muß bestehen bleibenDas kleinere Übel

Seit Beginn des Krieges in Bosnien-Herzegowina Anfang April 1992 verlangt die Regierung in Sarajevo die Aufhebung des Waffenembargos gegen ihre Republik. Unterstützt wird diese Forderung von den islamischen Staaten sowie von zahlreichen Solidaritätsgruppen und Einzelpersonen im westlichen Ausland. In den nächsten Wochen werden sich der UNO-Sicherheitsrat und die fünf Staaten der Bosnien-Kontaktgruppe zum ersten Mal ernsthaft mit dem Thema beschäftigen. Möglicherweise erfolgt schon vor Ende Oktober ein Beschluß in der Sache. Damit verbunden ist auch eine Entscheidung über den Abzug der Unprofor-Truppen zumindest aus Bosnien-Herzegowina.

In einem Schreiben an den US- Kongreß hat Präsident Clinton verbindlich angekündigt, daß die USA innerhalb von zwei Wochen nach dem 15. Oktober im UNO-Sicherheitsrat eine Resolution zur Aufhebung des Embargos vorlegen, wenn die bosnischen Serben bis zu diesem Termin den Teilungsplan der Kontaktgruppe nicht angenommen haben. Frankreich und Großbritannien erklärten inzwischen, daß eine solche Resolution nicht an ihrem „Veto scheitern“ werde. Sollte der Sicherheitsrat bis zum 15. November diese Resolution dennoch nicht beschließen, will der Kongreß die Clinton-Administration zur einseitigen Aufhebung des Embargos zwingen.

Präsident und Kongreß befinden sich bereits im (Vor-)Wahlkampf. Für den Fraktionsführer der Opposition im Senat, Robert Dole, und andere voraussichtliche Bewerber um die republikanische Kandidatur im Jahre 1996 ist die Forderung nach Aufhebung des Waffenembargos inzwischen vorrangig ein Mittel, um Clinton vorzuführen. Und der schwer angeschlagene Präsident hat angesichts immer neuer Desaster seiner Außenpolitik (Somalia, Haiti, Kuba etc.) diesem Druck schließlich nachgegeben, um wenigstens im Fall Bosnien handlungsfähig zu erscheinen.

Die Ratlosigkeit und internen Differenzen in der Bosnien-Kontaktgruppe wie im Sicherheitsrat dürften nun in den nächsten Tagen und Wochen erheblich zunehmen. Rußland wird verstärkt die umgehende Lockerung der Wirtschaftssanktionen gegen Serbien fordern. Mit dem Argument, ohne einen solchen Schritt gerate Präsident Milošević zu stark unter den gemeinsamen Druck Karadžićs, fast aller Oppositionsparteien in Belgrad sowie der orthodoxen Kirche und könne die Wirtschaftsblockade gegen die bosnischen Serben nicht mehr länger aufrechterhalten. Die westlichen Staaten in Kontaktgruppe und Sicherheitsrat werden jedoch auch künftig zumindest die von Belgrad bislang strikt abgelehnte Stationierung von UNO-Beobachtern an der Grenze zwischen Bosnien und Serbien zur Voraussetzung für eine Lockerung der Sanktionen machen. Für Washington und Bonn (möglicherweise auch noch für London und Paris) galt zumindest bislang auch weiterhin der Beschluß der fünf Außenminister der Kontaktgruppe vom 30. Juli, mit der Suspendierung von Sanktionen gegen Serbien erst nach Zustimmung der bosnischen Serben zum Teilungsplan zu beginnen.

Unter diesen Umständen scheint wahrscheinlich, daß bis zum 15. Oktober nichts Entscheidendes passieren wird und es danach zu einer Aufhebung des Waffenembargos kommt – entweder durch Beschluß des Sicherheitsrates oder einseitig durch die USA. Als Reaktion auf Belgrads Aggression gegen Slowenien und Kroatien hatte der Sicherheitsrat das Embargo im September 91 verhängt – gegen die gesamte „Jugoslawische Föderation“, die damals noch das einzige Völkerrechtssubjekt war, gegen die der Rat eine solche Maßnahme beschließen konnte. Unter rein völkerrechtlichen Gesichtspunkten hätte der Sicherheitsrat diesen Beschluß schon bei der Anerkennung und UNO-Aufnahme Bosnien-Herzegowinas im April 92 korrigieren und den neuen Staat ausdrücklich vom Embargo ausnehmen müssen. Doch ausweislich der Protokolle der internen Beratungen im Sicherheitsrat machte sich damals einzig der Botschafter Afghanistans für diesen Weg stark.

Für die Aufhebung des Embargos spricht auch die UNO-Charta, die jedem militärisch angegriffenen Staat das Recht auf Selbstverteidigung zugesteht. Ihre fortgesetzte Verletzung der UNO- Charta versuchen die Regierungen der Kontaktgruppenstaaten durch die Sprachregelung vom bosnischen „Bürgerkrieg“ zu vernebeln.

All dies bedeutet jedoch nicht automatisch, daß eine Aufhebung des Embargos auch unter politischen, militärischen und humanitären Gesichtspunkten das richtige Mittel ist. Zum einen ist davon auszugehen, daß eine Aufhebung des Embargos gegen Bosnien-Herzegowina dazu führen wird, daß auch die bosnischen Serben ungehindert Waffen, Munition und alle anderen kriegsstrategisch wichtigen Güter erhalten werden – sei es aus Serbien, Rußland oder anderen Staaten. Das Kalkül, die bisherige Unterlegenheit der bosnischen Regierungstruppen vor allem bei schweren Waffen zu beseitigen, wird also, wenn überhaupt, nur teilweise aufgehen. Und ihre derzeitige Überlegenheit bezüglich der Mannschaftsstärke könnte durch ein Eingreifen der restjugoslawischen Armee auf seiten der bosnischen Serben wettgemacht werden.

Auf jeden Fall würde der Krieg intensiver, sich ausweiten, und ein Kriegsende wäre weniger in Sicht denn je. Zumal zumindest Teile der politischen und militärischen Führung in Sarajevo entschlossen scheinen, nicht nur die im „Friedensplan“ der Kontaktgruppe der bosniakisch-kroatischen Föderation zugebilligten 51 Prozent des Landes freizukämpfen, sondern alle im Laufe der letzten 29 Monate von serbischen Truppen besetzten und „ethnisch gesäuberten“ Gebiete. Was wiederum unter völkerrechtlichen und politischen Gesichtspunkten verständlich ist. Denn dieser „Friedensplan“ zielt – auch wenn seine Autoren dies bestreiten – natürlich auf die Teilung des Landes ab, sanktioniert wie alle seine Vorgänger einen Großteil der serbischen Eroberungen und „ethnischen Säuberungen“ und bedeutet somit einen klaren Bruch der UNO-Charta.

Eine Aufhebung des Embargos hätte den unmittelbaren Abzug aller Unprofor-Truppen aus Bosnien wie aus Kroatien zur Folge. Frankreich, Großbritannien und Rußland haben den Rückzug ihrer Kontingente bereits angekündigt, und es besteht kein Zweifel, daß sich Belgien, Kanada, die Skandinavier, die Ukraine und die Türkei diesem Schritt anschließen würden.

Die Unprofor ist seit ihrer Stationierung im Jahr 1992 häufig hart kritisiert worden, zum Teil zu Recht, zum Teil zu Unrecht. Trotzdem: Allein schon die Anwesenheit der Blauhelme bedeutete einen gewissen Schutz für die Bevölkerung, und ohne UN-Soldaten hätten viele Hilfslieferungen ihr Ziel nie erreicht.

Daher ist trotz aller berechtigten Forderungen nach Aufhebung des Waffenembargos dessen Beibehaltung immer noch das kleinere Übel. Andreas Zumach

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