Das Vierte wechselt den Besitzer: Ein Haus voller Töchter
Dmitri Lesnewski wollte das deutsche Fernsehen aufmischen und scheiterte. Zurück bleiben unerfüllte Versprechen und eine nie gezeigte TV-Serie. Ein Set-Besuch.
MÜNCHEN taz | Als Dmitri Lesnewskis Traum vom deutschen Fernsehen beinahe Wirklichkeit wird, schließt jemand - wie gemein - das Badezimmer ab. Fünf Töchter stehen sich vor der Tür die Beine in den Bauch, der zugehörige Papa kratzt sich rätselnd am Kopf. Wer da wohl drin ist? Das Türschloss klickt, und so verstrubbelt wie blond wackelt Sandy von den No Angels heraus, murmelt was von "super Party" und stöckelt davon. Papa und Töchter stehen da, die Münder offen. Und wieder ist eine Szene von "Ein Haus voller Töchter" fertig. "Danke!", ruft der Regisseur in der Lederhose. Fehlen nur noch die Lacher vom Band.
Es ist ein warmer Spätsommertag im September 2009. Seit Wochen wird in den Münchner Bavaria-Studios an Lesnewskis großem Vorzeigeprojekt gearbeitet, seinem lang versprochenen Beitrag zur deutschen TV-Landschaft: einer eigenen Fernsehserie für die Primetime. Zwischen den Szenen kommt Abschiedsstimmung auf. Die Töchterdarstellerinnen drücken den Papadarsteller. Stolz wird das Ende der Dreharbeiten gefeiert.
Was hier niemand ahnt: Die Serie wird vielleicht nie im deutschen Fernsehen laufen. Sie bleibt das wohl bizarrste Vermächtnis von Dmitri Lesnewskis kurzlebigem Auftritt im deutschen TV-Markt. Im Juli 2008 hatte der Russe den Spartensender Das Vierte gekauft, Ende Mai 2010 veräußerte er ihn an die britische Mediengruppe Spirit on Media, die eigentlich eher im digitalen Satellitengeschäft als im deutschen Free-TV zu Hause ist. Zurück bleibt ein großer Haufen uneingelöster Versprechungen - und "Ein Haus voller Töchter".
Diesen Text und viele andere mehr lesen Sie in der sonntaz vom 26./27. Juni 2010 – ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk.
Kritik wurde weggelacht
Wie anders klang das noch vor einem Jahr: Damals, im Sommer 2009, beginnen die Dreharbeiten an einer Fernsehserie, mit der Lesnewski es allen in Deutschland zeigen will. Er adaptiert eine russische Sitcom. "Papiny Dochki" (Papas Töchterchen) ist ein Erfolg in Russland - aber im eher auf US-Kost abonnierten deutschen TV-Markt? Lesnewski lachte solche Kritik einfach weg: "Viele meinen, ich sei verrückt. Aber alle findens interessant, was ich hier mache", sagt er der taz. Die russische Zeitung Kommersant widmet der geplanten Serie schon mal einen großen Artikel.
"Papiny Dochki" erzählt von den Erlebnissen eines allein erziehenden Familientherapeuten und seinen fünf Töchtern, von Katinka im besten Kindergartenalter bis zum feierfreudigen Partyteenie Jana. Für "Ein Haus voller Töchter" werden 48 der halbstündigen russischen Folgen auf Deutsch neu gedreht. Ein gewagtes Unternehmen. Das Vierte hat nur 60 Mitarbeiter, an der Serie arbeitete ein rund 45-köpfiges Team.
In den Bavaria-Filmstudios am Münchner Stadtrand prunken detailverliebte Kulissen: die Therapeutenpraxis, in der Papa sich tagsüber mit verhuschten Patientinnen und seiner gouvernantenhaften Vorzimmerdame herumschlägt; das Spinnenterrarium der forschungsfreudigen Oma; das rosa-schwarz gestrichene Zimmer der ältesten Töchter. In einem Cafénachbau steht Executive Producerin Lika Blank und sagt: "Wir versuchen, so nah wie möglich am Originalformat zu bleiben." Man ändere nur Gags, die mit dem höchst unterschiedlichen Sozialleben zusammenhingen. "In der deutschen Version gibt es eine Folge, in der der Vater versucht, einen Kitaplatz zu finden. In Russland wäre das kein Problem."
Eine Halle weiter probt Moritz Lindbergh, den mancher noch aus der Sat.1-Comedy "Broti und Pacek" kennen wird, eine Szene. Er spielt den Vater nicht nur vor der Kamera - auch sonst ist er eine Art Ersatzpapa für die Kinderdarstellerinnen geworden. Die Kleinen erzählen ihm aufgeregt ihre Erlebnisse, klammern sich immer wieder an seinem Bein fest. Und Lindbergh erzählt lächelnd von der guten Zeit, die er im Studio gehabt habe. Er ist stolz auf die Serie, darauf dass so ein kleiner Sender so etwas Großes gewagt hat. Es heißt, die anderen bekannten Gesichter in der Serie hätten die Produktion ganz ähnlich gelobt: Grit Boettcher spielt die Oma, Ex-James-Bond-Bösewicht Götz Otto einen russischen Oligarchen.
Die Episoden von "Ein Haus voller Töchter" enthalten garantiert familienfreundlich-harmlose Gags: Dana fällt schon wieder in der Schule durch, Sporttochter Alex wurde der Joghurt geklaut, Jana verabredet sich zu zwei Dates mit zwei Jungen am selben Nachmittag. Papa verzweifelt darob schon am Frühstückstisch - all das in einer Zweieinhalb-Minuten-Szene. Nach wenigen Minuten Proben wird gedreht, es gibt nicht mehr als zwei Klappen, die Umbaupausen dauern nur Minuten, eine halbstündige Folge ist in eineinhalb Tagen fertig.
Am Rand der Kulisse steht Kameramann Anatoli Rudakow und macht Fotos. "Es könnte funktionieren", meint Rudakow. Für Menschen wie Lesnewski gebe es auf Russisch ein Wort: auf gute Art verrückt; "good crazy", sagt Rudakow.
Die ersten abgedrehten Folgen sollten eigentlich schon im Frühjahr dieses Jahres auf Sendung gehen. Dann wurde der Start verschoben. Das Vierte wollte auf "bessere wirtschaftliche Rahmenbedingungen" warten, später gab es nie realisierte Pläne, die Serie zuerst auf YouTube zu zeigen.
"Ein Haus voller Töchter" ist Lesnewskis Baby. Nun hat sich Lesnewski verabschiedet. Seine Schöpfung bleibt da. Ob sie jemals gesendet wird, ist an den neuen Herren von Das Vierte, die kommende Woche erstmals im Sender erwartet werden. Sie haben - vermutlich ohne es zu wissen - ein ganzes Haus voller Töchter mitgekauft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Bodycams bei Polizei und Feuerwehr
Ungeliebte Spielzeuge