■ Das Tübinger Wilhelmsstift kommt ins Gerede: Ein Mädchen hüpfte aus der Dusche!
Tübingen (taz) – Seit 177 Jahren bildet das katholische Bistum Rottenburg-Stuttgart Priester im Tübinger Wilhelmsstift aus. Hinter den dicken Mauern des ehrwürdigen Gebäudes können sich die angehenden Pfarrer, ungestört von den Wohn- und Versorgungsnöten ihrer weltlichen Kommilitonen, ganz darauf vorbereiten, ein Leben lang dem Herrn Jesus zu dienen. Einen Makel hat das Glück allerdings: das Zölibat. Keuschheit und Ehelosigkeit, mahnte vor zwei Jahren der Apostolische Nuntius die Tübinger Kandidaten, seien unverzichtbar, um „Herz und Hände für Jesus frei zu haben“.
Wie frei Herz und vor allem Hände des Tübinger Priesternachwuchses wirklich sind, darüber sind nun neuerdings verschiedene Meinungen im Umlauf. In sehr drastischer Form brachte eine Publikation mit dem schönen Titel Der Dreizehnte die Bedenken auf den Punkt. Dieses Blatt, dessen Name sich den Marienerscheinungen im portugiesischen Dörfchen Fatima verdankt (die immer am 13. eines Monats erfolgten), erschien am 13. November dieses Jahres mit einem Beitrag, welcher schon durch seinen Titel spontane Neugier auslöst: „Was ist im Wilhelmsstift Tübingen los?“ Ausführlich beschäftigen sich die Autoren in ihrem Bericht mit dem vermeintlich „katastrophalen moralischen Zustand“ des Tübinger Priesterseminars. Berichtet wird von Frauen, die zu dem Gebäude „jederzeit“ Zugang hätten, ja sogar eigene Schlüssel mit sich führten und als Freundinnen sogenannter „Gaststudenten“ nicht einmal vor einer Nacht im Priesterseminar zurückschreckten.
Welche Folgen dies hat, erlebte unter anderem ein ausländischer Besucher, ein Priester, der sich eines Morgens „fürchterlich erschrak, weil ihm in der Früh ein Mädchen aus der Dusche entgegenhüpfte“.
Damit nicht genug. Weil ein „Spiritual, ein gelernter Sozialpädagoge“ im Haus die „Gestalttherapie“ praktiziere, komme es zu „Auswüchsen wie gegenseitigem Massieren von Teilnehmern und Teilnehmerinnen an sogenannten ,körperbetonten‘ Veranstaltungen“. Und noch weitere Auswüchse entdeckte das Blatt. In Tübingen, hieß es, sei es ein offenes Geheimnis, daß Homosexuelle zu Priestern geweiht würden. Schreckliche Folge: „Normal veranlagte Studenten haben sich bereits über sexuelle Belästigungen durch Kollegen beschwert.“
Im Wilhelmsstift werden die Vorwürfe heftig bestritten. Eine „stinkende, übelriechende Soße“ habe dieses „Schmierenblatt“ da angerührt, meint Direktor Kilian Nuß. Zwar räumt er ein, daß in seinem Haus „bewußt die Offenheit“ gepflegt werde, daß es in sogenannten „eutonischen Übungen“ auch schon mal um „körperliche Entspannung und Beruhigung“ gehe und daß prinzipiell sogar „evangelische Theologiestudentinnen“ das Haus betreten können. Aber: „Die Damen gehen abends brav wieder nach Hause.“ Und von Massagen und ähnlichem könne natürlich überhaupt keine Rede sein.
Dennoch nimmt Direktor Nuß die Anwürfe des „rechtsradikalen Hetzblattes“ nicht auf die leichte Schulter. „Ich kann nicht verhindern, daß das bis Rom gelangt“, meint er. Dem päpstlichen „Visitator“, der sich schon auf einen Besuch angesagt hat, will der Direktor den Artikel deshalb vorsichtshalber selbst überreichen. Und dem Rottenburger Bischof Walter Kasper erläuterte Nuß eigens in einer Stellungnahme seine Meinung zum Beitrag des Dreizehnten. Mit Erfolg. „Der Bischof unterstützt uns voll und ganz“, freut sich Nuß über seinen Oberhirten. Der allerdings zählte einst selbst zu den Absolventen des Tübinger Wilhelmsstifts. Ulrich Janßen
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