„Das Trottelbuch“ von Franz Jung: Grüßen, aber nicht schießen
Zum 50. Todestag des Dada-Mitbegründers Franz Jung wird „Das Trottelbuch“ neu aufgelegt. Sein erstes literarisches Werk ist bis heute zu empfehlen.
Franz Jung zählt zu den schillerndsten Persönlichkeiten, die der linkskulturelle Aktivismus in Deutschland je hervorbrachte. 1888 in Neiße geboren, studierte der Sohn eines Uhrmacherpaares neben Kunst-, Rechts- und Religionswissenschaften auch Volkswirtschaft. Seine 1912 an der Uni München eingereichte Doktorarbeit trug den Titel „Die Auswirkungen der Produktionssteuer in der Zündholzindustrie“. Zündhölzer sollten in seinem Leben eine wichtige Rolle spielen.
Doch zunächst veröffentlichte der mit Erich Mühsam, Oskar Maria Graf oder Otto Gross bekannte junge Mann 1912 sein erstes literarisches Werk, „Das Trottelbuch“. Und das ist bis heute zu empfehlen.
Es enthält eine Sammlung von Miniaturen, existenzialistische Erzählungen, wenige Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs und dem Ende des Kaiserreichs. Gleich in der ersten Geschichte beschreibt Jung, wie drei Betrunkene sinnlos eine Katze erschlagen, sexuelle Ausschweifungen erleben und beim Untergang eines Einzelnen völlig gleichgültig bleiben.
Am Rande der Schizophrenie
„Das Trottelbuch“ zeigt in dichter und tastender Sprache aufbegehrende, in ihrer Haltung ambivalente Individuen. Frauen auf der Suche nach neuen Rollen, Paare im Beziehungskrieg, aber auch neue Lebensformen, vieles hart am Rande der Schizophrenie. „Sie sträubte sich dagegen, als Heilige verehrt zu werden. Ein dämonischer Wille erfüllte sie, ihn darin zu erschüttern. Sie bot sich seinen Freunden an oder inszenierte auf der Straße einen Zank und schlug ihm den Hut vom Kopf. Sie wusste mit seiner Liebe nichts anzufangen und wollte sie nicht, nur Hass und Vernichtung.“
sonntaz
Diesen und viele weitere spannende Texte lesen Sie in der sonntaz vom 19./20. Januar 2013. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz
„Das Trottelbuch“ ist ein guter Einstieg, um sich dem Künstler und Dramatiker Franz Jung zu nähern, der als Deserteur des Ersten Weltkriegs die dadaistische Zeitschrift Die Neue Jugend herausbrachte und mit anderen Berühmtheiten den Club Dada in Berlin erfand. „Warum suchst du Ruhe, wenn du zur Unruhe geboren bist“, so lautete ein typischer Franz-Jung-Satz, in Abwandlung eines Zitats des früh-christlichen Mystikers Thomas von Kempen.
Avantgarde im Untergrund
Wie viele andere war er 1914 freiwillig in den vom Kaiserreich propagierten Krieg gezogen, an dem weltweit schließlich 17 Millionen Menschen zugrunde gehen sollten. Jung gelangte, wie er in seinen epochalen Memoiren „Der Weg nach unten“ berichtet, ohne nennenswerte Ausbildung („ich konnte zur Not grüßen, aber nicht schießen“) an die Front im Osten. Und desertierte noch 1914. Halb verhungert kam er in Berlin wieder an, wurde verhaftet, flüchtete und lebte fortan als praktizierendes Mitglied der künstlerischen Avantgarde im Untergrund. 1918/19 kämpfte er aufseiten der Revolutionäre und überlebte.
Zur Berühmtheit gelangte der auch als Wirtschaftsjournalist tätige Jung jedoch, als er 1920 den Fischkutter „Senator Schröder“ nach Murmansk entführte. Jung wollte in der Sowjetunion Lenin überzeugen, in Deutschland die Räterevolutionäre – und nicht die KPD – zu unterstützen. Väterchen Lenin dachte gar nicht daran und veröffentlichte ein Jahr später die Schrift „Der linke Radikalismus, die Kinderkrankheit im Kommunismus“. Jung gab sich unbeeindruckt: „Nach außen gebrandmarkt, waren wir intern gesehen wahrscheinlich die Sieger.“
Zurück in Deutschland wurde der populäre Schiffsentführer wieder einmal verhaftet, es folgte eine fieberhafte Produktion umstürzlerischer Prosa und der Essay „Die Technik des Glücks“. 1921 entlassen, engagierte er sich mit den Räterevolutionären Béla Kun, Max Hoelz und Karl Plättner für die Arbeiteraufstände in Mitteldeutschland. Diese blieben isoliert und wurden von verrohten Reichswehrverbänden niedergemetzelt.
Doktorarbeit über Zündholzfabrik
Jung flüchtete in die Sowjetunion, wo er, man bedenke seine Doktorarbeit, erfolgreich den Aufbau einer Zündholzfabrik leitete. Und ansonsten erschüttert feststellte, wie der Bolschewismus die alten Machttechniken des Zarismus übernahm und noch ausbaute, den „Mensch als Material“, wie Jung schrieb, verobjektivierte und missbrauchte.
Als Jung Ende 1923 nach Deutschland zurückkehrte, pendelte er weiterhin zwischen Ober- und Untergrund. Seine Theaterstücke wurden von Erwin Piscator aufgeführt. 1930 begann er die Zeitschrift Der Gegner neu zu beleben, deren Herausgabe ab 1932 Harro Schulze-Boysen leitete, der 1942 als Widerstandskämpfer der Roten Kapelle von den Nazis in Berlin-Plötzensee ermordet wurde.
Jung überlebte beide Weltkriege, Stalinisten und Nazis, bevor er verarmt und weitgehend vergessen am 21. Januar 1963 in Stuttgart starb. Im Zuge der 68er Bewegung wurde er im Westen neu entdeckt, nach dem Mauerfall auch von kleinen Gruppen im Osten.
„Das Trottelbuch“. Neuauflage, Edtion Nautilus, Hamburg 2013, 94 S., 14 Euro. „Der Weg nach Unten“ sowie die Werkausgabe ebenfalls bei Nautilus erhältlich
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml