: Das Selbst mit und ohne Ohr
■ Eine Ausstellung in der Kunsthalle zeigt vom 17. März bis zum 18. Mai 20 Selbstporträts aus Vincent van Goghs entscheidender Lebensphase
Er gilt wohl als der Künstler schlechthin – unbestritten modern und doch romantisch verklärt. Wer in 15 Monaten 300 Meisterwerke malt, sich ein Ohr abschneidet, in der Irrenanstalt über Kunst nachdenkt und schließlich nach weniger als zehn Jahren als aktiver Maler mit 37 Jahren Selbstmord begeht, muß es auch ertragen, auf ewig nach Nummern nachgemalt, als Puzzle verkauft und von Kirk Douglas gespielt zu werden. Um so ärgerlicher, daß zwar Bremen, nicht aber Hamburg ein Bild van Goghs besitzt; obwohl hier bereits 1905 bei Paul Cassirer 54 Werke des Meisters zu sehen waren. Für mehr als zwei Monate ändert sich das nun gründlich: zwanzig Selbstporträts van Goghs aus seiner Pariser Zeit (1886-1888) sind meist aus Amsterdam gekommen, um in der Hamburger Kunsthalle zu gastieren.
Im März 1886 bricht Vincent van Gogh sein gerade erst begonnenes Kunststudium in Antwerpen ab und reist ins ersehnte Paris. „Was sich hier erreichen läßt, das ist der Fortschritt und was zum Teufel das auch sein mag, es findet sich in Paris“, befindet van Gogh und stürzt sich nach seiner Brabanter Abgeschiedenheit jetzt ins Künstlerleben. Er besucht die großen Ausstellungen, sieht die Bilder von Degas, Gaugin, Monet, Seurat, Signac, Pissaro, Renoir, Redon und Rousseau. In relativ kurzer Zeit ändert er seinen Malstil von der dunklen Tonigkeit seiner traditionellen Malweise hin zu hellen, strichbetonten Bildern im lichten Stil des Nachimpressionismus.
Dabei ist es keine Legende, daß van Gogh sich selbst so oft malte, weil er zwar Geld für einen leidlichen Spiegel, nicht aber für Modelle hatte. Ausgiebig verifizierte er für erwartete Porträtaufträge Farbtheorien am Beispiel seines Kopfes. Dabei nutzte er Leinwände beidseitig, so daß jetzt eine Studie zu den berühmten, düsteren „Kartoffelessern“ von 1885 auf der Rückseite des wie verletzt wirkenden Selbstporträts vom Sommer 1887 zu sehen ist. Seine ausführliche Beschäftigung mit der Theologie findet ihren Nachklang in dem Versuch, Figuren „mit diesem gewissen Ewigen (zu) malen, wofür früher der Heiligenschein das Symbol war, und das wir durch das Leuchten, das Zittern und Schwingen unserer Farben zu geben suchen“. Paris war in jenen Tagen der Nabel der Kunst. Cezanne trifft van Gogh beim Farbenhändler, Toulouse-Lautrec und van Gogh zeigen über hundert Bilder in einem Café, Gaugin wiederum tauscht mit beiden Bilder. Doch erst 1890 wird erstmals ein Bild des zu seinen Lebzeiten verkannten Malers in Brüssel verkauft. Schon im gleichen Jahr, am 29. Juli, stirbt van Gogh.
Aus dem Pantheon der Kunst lächelt er jetzt herab auf den Besucherandrang zur Hamburger Ausstellung, die in dieser Form nur hier zu sehen ist und einen kompakten Vergleich der malerischen und psychologischen Selbsterforschung ermöglicht. Hinweise auf die starke Subjektivität der Selbstsicht van Goghs gibt dabei das Porträt, das dem australischen Maler und Studienfreund John Peter Russell altmeisterlich geriet.
Hajo Schif f
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