■ Das Schicksal H. Börners als Mahnung an G. Schröder: Von Hessen lernen
Die rot-grüne Koalition in Hannover unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von der bislang reibungslos funktionierenden – und sich maximal dem Vorwurf oft peinlicher, weil allzu demonstrativ vorgetragener Harmoniebekundungen widersetzenden – rot-grünen Koalition in Wiesbaden. Im Gegensatz zum ehrlichen Makler Hans Eichel neigt Gerhard Schröder, Mitglied der sozialdemokratischen „Toskana-Fraktion“, zu politischen Alleingängen und spektakulären Provokationen auch des Koalitionspartners. Sein überraschender Einsatz für die in Hannover ungeliebte Fusion zwischen dem niedersächsischen Reifenkonzern Continental und dem Hause Pirelli, der öffentlichkeitswirksame Plausch mit den Vorstandsvorsitzenden von RWE und Veba über den (irgendwann) machbaren Ausstieg aus der Atomenergie und nicht zuletzt sein Eintreten für Rüstungsexporte nach Taiwan „aus Sorge um die norddeutsche Schiffbauindustrie“ (Schröder) strapazieren nicht nur das sozial-ökologische Bündnis an der Leine. Auch in der SPD werden die Stimmen lauter, die Schröder gerne wieder an der „Leine“ sozialdemokratischer Programmatik sehen würden.
Während Eichel in Hessen längst antizipiert hat, daß die Grünen in einer rot-grünen Koalition „Partner“ (Eichel) sind, versteht sich Schröder – wie einst Holger Börner – als Frontmann einer Landesregierung, in der die Grünen die Rolle des Mehrheitsbeschaffers zu spielen, aber nicht die Richtlinien der Politik mitzubestimmen haben. Hinzu kommt, daß den auch in einer Koalition zur Autarkie neigenden Sozialdemokraten in Hessen im Kabinett ein grüner Minister nicht nur physischen Kalibers gegenübersitzt. Und in Wiesbaden glauben nicht wenige Beobachter der Landespolitik, daß es Joschka Fischer ist, der am Kabinettstisch mit seinem „Gewicht“ den braven Landesvater oft plattdrückt. Waltraud Schoppe und Jürgen Trittin sind – bei allem Respekt – nicht aus diesem Holz geschnitzt. In Hannover scheint es auch an den in Hessen mit nachgerade revolutionärer Geduld und Zähigkeit gezimmerten „glasklaren Koalitionsvereinbarungen“ (Fischer) zu mangeln, die in Wiesbaden allen roten und grünen Akteuren den Handlungsrahmen verbindlich vorschreiben – auch und gerade auf politisch schlüpfrigem Terrain.
Auch Gerhard Schröder darf im Gedenken an den bereits genannten Holger Börner den (Koalitions-) Bogen nicht überspannen. Lernen aus der Historie heißt die Empfehlung. Sonst findet sich der profilierte Alt-68er mit seinen niedersächsischen Sozialdemokraten schnell dort wieder, wo seine hessischen Genossen ratlos die Jahre 1987 bis 1991 verbracht haben: auf den harten Oppositionsbänken im Landtag. Klaus-Peter Klingelschmitt
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