Das Problem ist nicht, dass Furcht uns lähmt. Das Problem ist, dass wir den Arsch nicht hochkriegen: Angst ist ein guter Ratgeber
Wir retten die WeltVonBernhardPötter
Unser jüngster Sohn, auch schon 13, sitzt mit traurigem Blick am Tisch. „Die Kekse sind alle“, sagt er verzweifelt. „Aha“, sage ich, „was kann man da wohl tun?“
Unsere Tochter stürmt aus der Tür. Auf ihrem Frühstücksplatz liegen Brotscheiben, Butter und Marmelade offen in der Sonne. Ein Trümmerfeld der ungelösten Entsorgung.
Der älteste Sohn wundert sich. „Kein Apfelsaft mehr da?“ „Den hat wohl jemand getrunken und nicht nachgekauft“, ist mein Kommentar. Der junge Mann ist Bio-Abiturient und kann fehlerfrei über Polypeptide, Panmixie und Neokreationismus referieren. Aber er sieht nicht, dass Ökosysteme auf Dauer nur funktionieren, wenn nachwächst, was verbraucht wird, und Abfälle in den Kreislauf zurückfließen.
Meine Kinder nutzen Kühlschrank und Keksfach so wie wir alle die Natur: Tür auf, Produkt raus, Tür zu. Irgendjemand wird schon für Nachschub sorgen. Eine allmächtige Mutter Natur. Ein gütiger Gott. Zwei gehetzte Eltern.
Johan Rockström hat dafür ein gutes Bild gefunden: „Big World, Small Planet“ nennt der Direktor des Stockholm Resilience Center unsere Position auf diesem Planeten: Über Jahrtausende waren unsere Eingriffe in die Natur so gering, dass wir bei Mutter Erde unbegrenzt Kredit hatten. Wir waren klein, der Planet riesig. Jetzt sind wir zu groß geworden, um weiter den Kühlschrank zu plündern.
Wie vermittelt man das? Eltern und Ökos machen einen großen Fehler. Wir setzen auf Vernunft und Zahlen. Noch eine Studie über den Artenschwund, noch eine Mahnung: „Die Zeit zum Handeln ist jetzt!“ Rockström war vor ein paar Wochen bei einer Konferenz in Berlin, wo Dutzende von klugen Menschen darüber debattierten, wie wir die „planetarischen Grenzen“ einhalten können. Journalisten waren kaum zu sehen. Im Netz wurde lieber über ein peinliches Video auf „BibisBeautyPalace“ diskutiert. Und auch Rockström findet es schwierig, die wirklich wichtigen Anliegen auf die Tagesordnung zu bekommen. Dass Klimawandel ein Problem ist, hat sogar die Präsidententochter begriffen, die sonst eher „BibisBeautyPalace“ schaut. Aber noch viel drängender sind laut Rockström der Überschuss an Stickstoff auf den Feldern, der Ökosysteme umkippen lässt und zu viel Phosphor in Gewässern, das „tote Zonen“ verursacht. Darum kümmern sich weder UN-Konferenzen noch Präsidententöchter.
Was hilft? Gefühle! Als in der BSE-Krise die Berge von Kühen brannten, bibberten alle vor dem nächsten Steak. Eine andere Landwirtschaft schien möglich. Als Fukushima in die Luft flog, trieb die Atomangst die Deutschen zum nuklearen Exodus und zum Grün-Wählen. Furcht vor dem Atmen in der Stadt bringt die Verkehrswende schneller ans Ziel als der ganze hippe Quatsch mit selbstfahrenden Autos. Und mit Horrorbildern von Todeszonen im Meer könnte man prima gegen Tiermastanlagen kämpfen.
Wenn wir die Fakten betrachten, ist Zähneklappern die richtige Reaktion: vor einer Welt, in der die Permafrostböden auftauen, die Vögel verschwinden und die Meere versauern. Es war gut, dass die Menschen Panik vor dem Waldsterben hatten und vor dem Atomkraftwerk nebenan. Unser Problem ist gerade nicht, dass die Furcht uns lähmt. Sondern dass wir den Arsch nicht hochkriegen. Angst ist ein guter Ratgeber. Auch wenn es erst mal nur um ein leeres Keksfach geht.
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