■ Das Portrait: Hans Werner Richter
Mit Hans Werner Richter, der am Dienstag in München gestorben ist, verliert das politische und literarische Leben der Bundesrepublik eine seiner legendären Gründungsfiguren. In Richters Fall ist das keine bloße Phrase: Die Tat, mit der er am nachhaltigsten das bundesrepublikanische Bewußtsein beeinflußte, war die Gründung der Gruppe 47. Wolfgang Bächler hat später geschildert, wie der unermüdliche Organisator die Teilnehmer zusammenrief: „In einem seiner einsamen Beschlüsse entschied Richter spontan, seine Gruppe „Gruppe 47“ zu nennen. Per Akklamation stimmten wir zu... Wir einigten uns auf die Legende, die Gruppe sei schon 1947 bei jenem kleinen Treffen ehemaliger Ruf-Mitarbeiter zustande gekommen und heiße deshalb so. Die Legende wurde einstimmig angenommen und der dpa gemeldet.“
Hans Werner Richter wurde 1908 in Bansin auf der Insel Usedom geboren und ging in Swinemünde in die Buchhändlerlehre. In Berlin lernte er unter anderen Carl von Ossietzky kennen und trat 1930 in die KPD ein, aus der er 1933 ausgeschlossen wurde. Richter brachte sich als Tankwart und Chauffeur durch die Nazizeit. In amerikanischer Gefangenschaft begann erst sein eigentliches Leben als Schriftsteller.
Nach dem Krieg wurde Richter Mitherausgeber der kritischen Zeitschrift Der Ruf. Sie bereitete den Boden für seine berühmte Artusrunde, der in den folgenden drei Jahrzehnten Alfred Andersch, Walter Jens, Hans Magnus Enzensberger, Gisela Elsner, Walter Höllerer, Ingeborg Bachmann, Martin Walser, Günter Eich, Peter Hamm und viele andere angehörten, deren Texte — allen Abgesängen auf die Literatur der alten Bundesrepublik zum Trotz — immer noch die Lesebücher füllen.
foto nr. 24
Foto: Peter Peitsch
Zu seinen Werken, die, anfangs ganz im Stil der „Kahlschlagsliteratur“ eine Art literarischen Neorealismus zu etablieren suchten, gehören die Romane „Die Geschlagenen“ (1949), „Du sollst nicht töten“ (1955). Hier wurde kühl mit dem Ungeist abgerechnet, der die eigene Generation in die Katastrophe getrieben hatte. In der Konsequenz dieses Versuchs, die junge deutsche Gesellschaft auf neue moralische Grundlagen zu stellen, lag auch Richters späteres Engagement im „Komitee gegen Atomrüstung“. „Spuren im Sand“ (1971) nannte er die Spurensicherung der eigenen Kindheit. Jörg Lau
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen