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■ Das PortraitDer Schrei

Trotz Lillehammer – die Norweger trauern. Mit dem Munch-Bild „Der Schrei“, das in der Nacht zum Samstag von zwei unbekannten Tätern aus der Nationalgalerie in Oslo gestohlen wurde, haben sie ein Stückchen nordischer Kultur verloren, dem Experten die gleiche Bedeutung zusprechen wie etwa der „Mona Lisa“ im Pariser Louvre. Während aber das Bild Leonardos aus Sammlerliebe des Königs in französischen Besitz überging, ist der schreiende Munch ganz und gar Bestandteil depressiv norwegischer Volkskultur.

Edvard Munch wurde am 12. Dezember 1863 geboren, studierte Kunst im ehemaligen Kristiania (heute Oslo) und hielt sich später zu Studien in Frankreich und Deutschland auf. Dort lernte er nicht bloß den leichten impressionistischen Stil etwa der „Vier Mädchen auf der Brücke“ kennen, sondern er begegnete auch jener expressiven Schwere, für deren Ausgestaltung Munch sich Themen wie Einsamkeit, Eifersucht, Liebe und Tod vornahm. All dies findet sich in jenem Schrei: Im Vordergrund ist eine ausgemergelte Frau zu sehen, mit weit aufgerissenen Augen, das Gesicht angsterfüllt. Von hinten folgen ihr zwei Gestalten, aber dieser Eindruck bleibt unscharf und fremd, so wie der düstere Umraum des Geländers und die schwarz aus einem apokalyptischen Himmel geschnittene Welt in einer fernen Bildtiefe.

Edvard Munch: Der Schrei Foto: Archiv

Schon 1893 hatte der mit Fettstiften auf Pappe gefertigte Schrei für Aufregung gesorgt. Damals schien etwas Ungeheuerliches in dem Bild zu liegen: Es war, als wäre auf bescheidenen 91 mal 73,5 Zentimetern Bildmaß der Mensch aus den Fugen geraten, so wie die als „Lebensfries“ aus 22 Gemälden bestehende Bildserie, die Munch in der Berliner Secession ausstellte.

Im Diebstahl wiederholt sich die Tragödie des perspektivlosen Fin de siècle, wenn auch als Farce: In aller Seelenruhe konnten die Diebe ein Museumsfenster einschlagen, über eine Leiter ins Haus klettern und das Bild trotz einer unentwegt schrillenden Alarmanlage abhängen. Schließlich war fast die gesamte Osloer Polizei zu dieser Zeit im 170 Kilometer entfernt gelegenen Lillehammer auf Olympia- Streife. Eine Hoffnung bleibt dem Museumschef Knut Berg dennoch: Das millionenschwere Bild wird sich auf keinem Markt der Welt verkaufen lassen. hf

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