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■ Das PortraitWim Kok

Wim Kok eignet sich für Anekdoten nicht. „Sachlich“, „aufrichtig“, „pragmatisch“ sind die meistgenannten Prädikate zur Charakterisierung des 55jährigen niederländischen Sozialdemokraten, einem „guten Bekannten“ Rudolf Scharpings, der jetzt seinem Freund vorausgeeilt und Premierminister geworden ist.

Kok gilt als Buchhalter, Finanztechnokrat und Vertreter der „neuen Realisten“ innerhalb der Arbeiterpartei PvdA. Nicht zufällig hatte bereits der Christdemokrat Ruud Lubbers Kok als Finanzminister in sein Kabinett berufen. Seit gestern ist Kok der erste sozialdemokratische Ministerpräsident der Niederlande seit 1977. Eine kleine Sensation – denn allen Prognosen des vergangenen Jahres zufolge säße Kok heute nicht in Den Haag, sondern zu Hause, um auf einen Bürgermeisterposten zu warten und seinem politischen Leben einen neuen Sinn zu geben. Denn wie die Christdemokraten erlitt auch die PvdA bei den Wahlen am 3. Mai herbe Verluste und wurde nur knapp stärkste Partei. Kok galt als geschlagener Mann. Zwei Monate später rief Königin Beatrix dann den „idealistischen Pragmatiker“ (Kok über sich). Erst als „Informateur“ über eine mögliche Koalition und schließlich als „Formateur“ des Kabinetts übte Kok sich in seinem Spezialgebiet, Premier in Den HaagFoto: keystone

der Kompromißfindung. Am 12. August rang er seinem Erzfeind, dem rechtsliberalen Fraktionsvorsitzenden Frits Bolkestein von der VVD, eine Unterschrift unter die mühsam erarbeitete Regierungsvereinbarung ab – der Beginn einer „lila“ sozial-liberalen Dreierkoalition aus PvdA, VVD und Demokraten-66.

Kok bleibt sich treu. Als Gewerkschaftsvorsitzender der NVV unterschrieb er bereits 1982 den umstrittenen „Vertrag von Wassenaar“, der Lohnmäßigung für mehr Arbeitsplätze vorsah. Wieder lockte er jetzt seine Widersacher mit der Bereitschaft, den Gürtel enger zu schnallen – diesmal bis zum Anschlag: Statt den ursprünglich von der PvdA vorgesehenen 9 Milliarden Gulden sollen in dieser Kabinettsperiode 18 eingespart werden – umgerechnet etwa 16 Milliarden Mark. In seiner Partei ist Kok deshalb umstrittener als in der Bevölkerung. Seinem Drängen nach Geschlossenheit stehen lauter werdende Rufe nach offener Debatte und Konfrontation gegenüber. Denn jetzt darf wieder gesprochen werden; während der Koalitionsverhandlungen hatte Kok erfolgreich Funkstille verordnet. Jeannette Goddar

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