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■ Das PortraitThe Diceman

Der „Diceman“ tritt nicht mehr auf. Thom McGinty, wie er im richtigen Leben heißt, hat sich mit 42 Jahren zur Ruhe gesetzt. Er gehörte zu Dublin wie die Liffey, die durch die Innenstadt fließt. Seit mehr als zehn Jahren sind Kinder und Erwachsene immer wieder in seinen Bann gezogen worden, wenn er wie eine bunt kostümierte Statue auf Dublins hektischer Einkaufsmeile, der Grafton Street, für ein Produkt oder ein Theaterstück warb. „Was die Grafton Street betrifft“, sagte der Schriftsteller Brendan Kennelly, „ist Thom McGinty der Ruhepunkt der sich drehenden Welt.“

Thom McGinty Foto: Ralf Sotscheck

Thom hat Aids. „Ich kann nicht mehr arbeiten“, sagt er. „Die Kunden haben sich beschwert, weil ich mich immer wieder hinsetzen mußte.“

Thom stammt aus dem Bergarbeiterdorf Glenboig bei Glasgow. Er studierte Wirtschaft an der Strathclyde-Universität, bevor er 1976 nach Dublin kam. Zunächst schlug er sich mit Betteln durch, bis er 1982 einen Job als wandelnde Reklametafel für einen Kramladen bekam, den „Diceman“. Der Laden machte ein paar Jahre später dicht, der Name blieb. Seitdem hat Thom die St. Patrick's Day Parade in Moskau angeführt, ist als Mona Lisa im Louvre aufgetreten und hat auf Zypern für Gummistiefel geworben – letzteres ohne Erfolg: „Man hatte mir erzählt, es sei Regenzeit, dabei brannte die Sonne herunter“, klagt Thom. Er ist als Gott und als Teufel, als Dracula, Engel, Clown und Ronald Reagan aufgetreten. „Ich habe lieber Prostituierte, Junkies und Diebe um mich als verdammte Heuchler“, sagt Thom.

Sein Abschied am Sonntag abend war standesgemäß. Freunde hatten das Olympia- Theater ganz in der Nähe der Grafton Street gemietet und eine Galarevue organisiert. Der Gewinn kommt Thom zugute, denn er ist zwar berühmt, aber nicht reich. Vor dem Theater tobten die Clowns und Straßenkünstler herum und sorgten für ein Verkehrschaos. Auf der Bühne brachten Thoms KollegInnen den zum Bersten gefüllten Saal zum Kochen. Als der Diceman, gehüllt in einen Flokati und von der Krankheit gezeichnet, zum Finale auf die Bühne trat und sich bei Dublin und den DublinerInnen bedankte, brach der Saal in Tränen aus. „Ich möchte auf der Grafton Street sterben“, sagt Thom, „in einem Kleopatra-Kostüm, umgeben von einem Schwarm fast nackter nubischer Sklaven.“ Noch nicht, Thom: Zuerst mußt du dein Geld in Nizza und Amsterdam verprassen. So, wie du es geplant hast. Ralf Sotscheck

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