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■ Das PortraitLilo Vesterling

Nachtwächter? Um diesen zweifelhaften Titel hat Lieselotte Vesterling gekämpft. Sie hat gewonnen: Seit Oktober ist sie Deutschlands erste Nachtwächterin. Die europäische Türmer- und Nachtwächterzunft, seit dem 13. Jahrhundert rein männlich, stimmte Lilo Vesterlings Aufnahme zu. Die hundert Zunftbrüder hätten der Gastwirtin auch nicht verbieten können, wenigstens in Goslar zu verkünden, was die Stunde geschlagen hat. „Ich wäre sowieso Nachtwächterin geworden“, sagt die resolute Frau. Deren Engagement kommt gut an, die Fanpost beweist es ihr. „Viele Frauen schreiben und wollen nun auch Nachtwächterin werden“, sagt Vesterling.

Dabei ist die Blütezeit der Zunft, als Nachtwächter noch die Stunden besangen und Frauen allenfalls Turmstufen schrubbten, schon lange vorbei. Dazu mußte nicht erst Lieselotte Vesterling auf den Plan treten. Schon seit der Erfindung der Uhr war es mit der Zunft bergab gegangen. Denn die Stundenzeiger der neuen Uhren drehten ihre Runden meist zuverlässiger als die bestellten Nachtwächter. „Die schliefen wirklich oft ein, weil sie ja schon am Tag gearbeitet hatten.“

Ihrem endgültigen Niedergang allerdings widersetzte sich die verschlafene Zunft ebenso heftig wie der weiblichen Mitgliedschaft. Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts suchten sie ihre Rettung im Tourismus. Nun

Einzige Nachtwächterin Foto: dpa

liegen die Dienstzeiten am Tag und am Abend, nur die Kluft sieht aus wir immer: dunkler Hut und weiter Umhang. Mit Hellebarde, Kuhhorn und Lampe in der Hand laufen die Zünftigen von gestern durch die Straßen und singen ihre Lieder. Darin rühmen sie in selbstgedichteten Versen das Heimatstädtchen.

Für Goslar wird das höchste Zeit. Dort sind die Betten seltener belegt, seit der Fremdenverkehr auch in den östlichen Harz strömt. Die geborene Berlinerin will nun die Verkehrsvereine ihrer Wahlheimat an einen Tisch bringen. Rückendeckung hat sie von der Zunft: Die Kollegen sitzen schließlich in den Hochburgen der amerikanischen Busreisenden, wie Dinkelsbühl und Rothenburg ob der Tauber. Mit denen kann sie sich künftig von gleich zu gleich beraten.

Die „feministische Offensive“ im Nachtwächterwesen allerdings, die die Lokalpresse schon eröffnet sah, bläst Lilo Vesterling gleich wieder ab. Was damit gemeint ist, weiß sie auch nicht. „Vielleicht, daß ich den einen Kollegen im Überschwang geküßt habe?“ Eva Rhode

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