■ Das Portrait: Tschingis Aitmatow
Karriere in den Zeiten des faulenden, parasitären und sterbenden Sozialismus: Tschingis Aitmatow, der 1927 im kirgisischen Sheker geborene Schriftsteller, wurde als einer von dreizehn Deputierten ins Parlament seiner Heimatrepublik gewählt. Daß man politische Ämter an jene Künstler delegiert, die im Sozialismus als politisch und moralisch integre Instanzen galten, ist Tradition, aber inzwischen auch eine Geste der Hilflosigkeit.
Aitmatow zählt nach Unesco-Angaben zu den meistgelesenen Autoren der Welt. Im November 1990 wurde er zum sowjetischen Botschafter in Luxemburg ernannt. Der Kremlführung kam die Person Tschingis Aitmatows als Verkörperung von künstlerischem Erfolg und gelungener Nationalitätenpolitik zupaß: ein kirgisischer Sowjetbürger, international geachtet. Aitmatows systemkritischen Ruf konnte man in Kauf nehmen, denn die Zweifel und Ansprüche des Mitglieds der KPdSU und Zentralkomitees der Kirgisischen Kommunistischen Partei waren tatsächlich eher philosophisch-sittlicher denn staatsgefährdender Natur.
Kirgise, Autor, Diplomat, jetzt auch Abgeordneter
Foto: Anita Schiffer-Fuchs
Vielleicht war dies Ausdruck einer familiär erlittenen, nicht ganz beschwichtigten Tragödie. Tschingis Aitmatows Großvater starb unter dem Zaren, sein Vater, ein Kommunist, wurde während der stalinistischen Verfolgungen hingerichtet.
Aitmatow studierte, so war das im Sozialismus, als man noch diplomierter Schriftsteller wurde, ab 1956 am Moskauer Gorki-Institut für Literatur. Er wurde mit seiner Abschlußarbeit, der Erzählung „Djamila“ („Dschamilja“), berühmt, arbeitete jedoch als Redakteur bei verschiedenen literarischen Zeitschriften.
Sein Generalthema, den Konflikt zwischen individuellem Glück und behindernden Normen, beschrieb er mythenreich, oft schwermütig, manchmal tragisch. Auch das hob Aitmatow aus der Masse didaktischer und zweckoptimistischer Staatsliteraten hervor. 1986, in seinem Roman „Der Richtplatz“, erhebt Aitmatow seinen Helden zum Gottsucher. Fast jeder namhafte sowjetische Regisseur hat „einen Aitmatow“ verfilmt.
Im März 1990 berief Gorbatschow Aitmatow, neben Valentin Rasputin, auch Schriftsteller, zum Mitglied seines Präsidialrats. Der umtriebige kirgisische Diplomat saß 1994 in der Jury der „Berlinale“. Man vermißt den Autor. Anke Westphal
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