■ Das Portrait: Ampelmännchen
Ein Mann geht seinen Weg: forschen Schrittes, den Arm zum hurtigen Ausschreiten vorgestreckt. 40 Jahre ließ man ihn so laufen über löchrige Asphaltdecken und plombenziehendes Kopfsteinpflaster. Gut, man hat ihm strenge Auflagen gemacht. An die hat er sich, regimetreu wie er war, auch brav gehalten: nur 16,0 Zentimeter durfte er groß werden, nicht einen Millimeter mehr, von der Hutkrempe bis zur Sohle. Auch seine Schrittgröße war exakt bemessen, vom linken Schuhende bis zur rechten Handspitze 137 Millimeter. Wenn sein Gang zum Halt kam, was ihn regelmäßig rot anlaufen ließ, breitete er beide Arme aus, doch nie weiter als 162 Millimeter. Sein Name, amtlich festgelegt in der TGL 12096/04 der DDR: „Fußgängersignalgeber“. Bekannt war er aber als „Ampelmännchen“.
Im wiedervereinigten Deutschland sollte der kleine, immer eilige Ossi seinen Hut nehmen. Ein dünner, ungelenker Kerl, einer aus dem Westen, versteht sich, wollte ihn ausrotten, auf offener Straße! Die letzten Exemplare sind fast schon verschwunden, da naht nun Rettung. Der Freistaat Sachsen will das aussterbende Männchen unter Artenschutz stellen. Dazu verfaßte Sachsens Wirtschaftsminister Kajo Schommer den lebensrettenden Erlaß: „Abweichend von den Bestimmungen nach 53 Abs.9 Satz 2 StVO bzw. nach der 4. Ausnahmeverordnung zur StVO vom 23.06.1992 (BGBl. S.1124) sowie von Bestimmungen Ris LSA (Anhang I. 1.3 und I.1.4) sind ab sofort bei Erstinstallierung oder bei Erneuerung von LSA für die Signalgeber für den Fußgängerverkehr bevorzugt die Sinnbilder für stehende und schreitende Fußgänger in den Formen und Maßen, wie sie die vormals geltende TGL 12096 der ehemaligen DDR enthielt, vorzusehen“.
Stiftet in Sachsen Identität Foto: Petra Gall
So ein Vorbeimarsch des eilenden Ossis an seinen westdeutschen Artgenossen will begründet sein. „Die Verwendung dieser Sinnbilder“, schreibt der Minister, diene nichts Geringerem als der „Erhaltung der sächsischen Identität“. Ein bißchen peinlich für die Sachsen: die eigentlichen Identitätsstifter waren Wessis – SchülerInnen der Klasse 8a aus Stuttgart. Die hatten nach einer Klassenfahrt in Weimar dringend an den Minister appelliert, das Ost-Männchen nicht aussterben zu lassen. Sachsens Alleingang in die Ampelautonomie könnte sich ausweiten: Wirtschaftsminister Schommer hat seine Kollegen aus den neuen Bundesländern bereits um Nachahmung gebeten. Vera Gaserow
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