■ Das Portrait: Mr. Berlinale
Er ist genau der Festspielleiter, den unsere Filmmetropole sich im Kinojubiläum und im noch zu erstellenden Hauptstadt-Gefühl erträumt: hypermondän, umtriebig, gewandt. Den können Sie auf jede Piazza setzen und mit jeder Diva parlieren lassen; er charmiert und antichambriert, daß es eine Lust ist, daß sich Weltsterne um die Flugtickets nach Berlin schlagen, daß Menschen, die nur ein Filmchen und keinen Film zuwege gebracht haben, sich freiwillig zurückziehen, weil sie einfach wissen: Dieser Mann erkennt einen schlechten Film, wenn er einen sieht, nicht erst, wenn es in der Zeitung steht.
Wenn Sie ihn zufällig auf der Straße treffen, lächelt er Sie jugendlich frohgemut an (so jemand paßt natürlich dann wieder nicht so recht nach Berlin, wo man wegen penetranten Frohsinns sofort erschossen wird). Niemals würde er sich nach einer komplett vergeigten, steinöden Berlinale hinstellen und die Tatsache zu feiern versuchen, daß Paul Newman fast nach Berlin gekommen wäre. Niemals, niemals würde Mr. Berlinale die Presse in einen Berliner Volkspark expedieren, damit man auch ja nicht den Menschen über den Weg läuft; und nie im Leben würde er am zweiten Tag des Festivals kund- und zu wissen geben „Isch abe die Gripp'. Deswegen die Filmfestspiel' sind in Gefahr.“
Auch das drohende Auslaufen seines Vertrages würde nicht bewirken, daß er nach allen Seiten Kratzfüße schlägt, nicht vor den Herren von der Politik, nicht vor mittelprächtigen Regisseuren, nicht vor einer Jury, die durch komplette Unbekanntheit glänzt. Eleganter – rein äußerlich gesehen – wird man von der Katzbuckelei ja übrigens auch nicht. Und weil er das weiß, unserer Mr. Berlinale, würde er es niemals zulassen, daß ein ganzes Festival darüber gegreint wird, daß Robert Redford es nicht nach Berlin geschafft hat. Warum sollte er: um so empfangen zu werden wie der nichtsnutzige Alain Delon, vor dem man in die Knie gegangen ist wie Fuhlsbüttel vor einer abgetakelten malaysischen Prinzessin?
Nein, das wäre ihm alles nicht geschehen; für ihn hätte Robert Altman mit seinem „Prêt-à-porter“ extra gewartet, um ja im Februar (ein Monat, der eigentlich ja so gar nicht für Filmfestspiele taugt) in Berlin sein zu können. Cannes erzittert, wenn Mr. Berlinale freischwebende unbekannte Filmgenies entdeckt und den festgesessenen Beine macht, so daß ein Tavernier sich nie mit einem Machwerk wie „Der Lockvogel“ in diese Stadt getraut hätte, auf die bald überhaupt niemand mehr schaut. mn
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