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■ Das PortraitGesamtdeutsch

Durs Grünbein, Büchner- preisträger Foto: Anna Weise

Schon einmal wurde Durs Grünbein in Darmstadt ausgezeichnet: Vor fünf Jahren erhielt er den Förderpreis zum Leonce-und-Lena-Preis. Die schmale Prämie betrug seinerzeit 6.000 Mark. Heute wird der erst 33jährige eben dort mit dem bedeutendsten deutschen Literaturpreis, dem Büchner-Preis, geehrt – das bedeutet, von der Ehre abgesehen, einen Scheck über 60.000 Mark. Keine schlechte Karriere in den paar Jahren.

Was Wunder, daß der Neid da groß ist. Die Jury, die sich nach Enzensberger und Handke nach langer Zeit erstmals wieder für einen jüngeren Autor entschieden hatte, wurde heftig angegriffen. Seltsam eigentlich, daß man einen Mittdreißiger hierzulande überhaupt als jungen Autor ansieht. Georg Büchner, nach dem der Preis benannt ist, starb bekanntlich mit 23 Jahren. In seiner Preisrede, die am Montag exklusiv in der taz zu lesen sein wird, sagt Grünbein denn auch, Büchners Sterbealter könne ihm „kaum Trost sein und noch viel weniger Alibi“. Er danke der Darmstädter Akademie „für einen Preis, dem ich schwer widersprechen konnte und den ich doch (so viel liegt noch vor mir) lieber in anderen Händen wüßte, verliehen für ein ganzes, ein Lebenswerk“.

Grünbein, in Dresden als Sohn eines Ingenieurs und einer Chemikerin geboren, hat nach einem kurzen Studium der Theaterwissenschaft bislang vier Gedichtbände veröffentlicht, die fast das einhellige Lob der Kritik ernteten und für Lyriktitel ungewöhnlich hohe Auflagen erzielt haben. Sein Buch „Falten und Fallen“ war das literarische Ereignis des vergangenen Jahres. Erstaunlich, zu wie vielen Themen Grünbein seinen Ton findet – Kindheitserinnerungen, Liebesnächte, anthropologische Meditationen, die Physiognomie der „politischen Barbaren“ mit ihren Großwildjagden und Bruderküssen – alles das gibt es also.

Die Laudatio auf Grünbein hält der Dramatiker Heiner Müller, der ihn 1988, also noch zu DDR-Zeiten entdeckt hat und ihm den Kontakt zum Suhrkamp Verlag vermittelte, in dem dann alle seine Bücher erschienen. Grünbein hängt seiner Biographie wegen das Label des ersten gesamtdeutschen Dichters an. Das klingt sehr staatstragend. Aber wer ein paar seiner Gedichte gelesen hat, weiß, das ist keiner, den man so fängt. Grünbein ist zu neugierig, als daß er sich festloben ließe. Hoffentlich wird ihn, zur Freude der Leser, das Etikett „Stimme der Einheit“ zu neuen Fluchten anfeuern. Jörg Lau

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