■ Das Portrait: April, April
Stets zum 1. April wandelt in den Zeitungen der Humor plötzlich auch die Politik. Dann darf schon mal ein „Kanzler Kohl will zurücktreten“ getitelt werden. Oder die Zeile „Hamburg wird von einer Glaskuppel überdacht“.
Immer wieder lustig...
Die (Un-)Sitte, Nachbarn und Nahestehende zu verarschen, geht wohl, da sind sich die Brauchtumsforscher nicht ganz einig, auf ein Dekret des französischen Königs Charles IX. zurück, der im Jahre 1564 den Neujahrstag vom 1. April drei Monate zurück auf den 1. Januar verlegen ließ. Das Entfallen der Geschenke zum Jahreswechsel provozierte die Franzosen in jenem Jahr dazu, Scheinpräsente zu ordern: Der Geprellte bekam statt dessen einen Fisch auf den Rücken gebunden – wobei die Spaßmacher dann Poisson d'avril! (Aprilfisch) schrien.
Von Frankreich aus zog der Usus Kreise: Bereits aus dem 17. Jahrhundert finden sich schriftliche Zeugnisse, daß auch in Holland, England und Deutschland der 1. April als ein Tag bedacht wird, den man mit Vorsicht begeht. Es soll noch heute Kinder geben, die brav zum Supermarkt rennen, weil ihre Mütter sie mit dem Auftrag geschickt haben, zwei Liter Luft zu kaufen – eine Variante der Tradition, Einkaufsaufträge für schwarze Kreide, Mückenfett, Gänsemilch oder – sehr aktuell – Froschburger zu erteilen.
Manche Aprilscherze werden allerdings gern goutiert. Wer am 1. April lieber im Kaffeehaus sitzt, statt die Schulbank zu drücken, darf auf Verständnis hoffen, wenn er darauf hinweist, tags zuvor schulfrei bekommen zu haben: „Jemand hat gesagt, daß den ganzen Tag Lehrerkonferenz ist.“
Die Intensität in puncto Aprilscherzen scheint jedoch nachgelassen zu haben: Zeitgeistforscher wie Matthias Horx oder Freizeitexegeten wie Horst Opaschowski meinen, daß der moderne Mensch am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts eh dazu neigt, nichts mehr ernst zu nehmen, ob es nun um Kohl oder Konsorten geht. Kardinal Ratzinger, Mitglied des Inner Circle am Hofe Papst Johannes Pauls II., hat kürzlich einen Runden Tisch eingerichtet, um den Gläubigen wieder das rechte Verständnis für die Balance zwischen Wahn und Wirklichkeit, also zwischen 1. April und, sagen wir, 17. September, nahezubringen.
Bis dahin gilt, was Goethe dichtete: „Willst du den März nicht ganz verlieren / So laß nicht in April dich führen. / Den Ersten April mußt überstehn / Dann kann dir manches Gute geschehn.“ Jan Feddersen
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