Das Portrait: Das echt furchtlose Plappermaul Gottes
■ Jürgen Fliege
Nie lobt ihn die Fernsehkritik. Der Spiegel schrieb über einen der bestgehaßten Männer des neuen Bildungsbürgertums: „Keiner aus dem Fernsehlaberland nutzt das Helferidiom mit solcher virtuoser Klebrigkeit“ wie er – Pastor Jürgen Fliege. Der 49jährige Talkmaster (“Fliege“), der mit seinen halblangen Haaren immer noch wie ein etwas angewelkter Theologiestudent aussieht und sprachlich gesehen jeden Sozialpädagogenslang unfreiwillig karikiert, muß sich diese Schmähungen gefallen lassen: Wer würde sich nicht vor Scham abwenden, wenn ein TV-Präsentator die bewegende Geschichte eines krebskranken TV-Gastes mit den Worten „Danke für die Emotion“ abmoderiert?
Fliege ist trotzdem momentan einer der mächtigsten Kirchenmänner der Republik. Seine Redaktion bekommt körbeweise Zuschauerpost – Fliege ist trotz psychoingenieurhafter Sprache die seelsorgerische Instanz des Landes: ein fleischgewordener Kummerkasten. 16,8 Prozent Marktanteil hat seine tägliche Nachmittagssendung, die er stets mit den Worten „Passen Sie gut auf sich auf“ beschließt.
Nun setzt ihm einmal mehr die Amtskirche zu. Während der Synode der Evangelischen Kirche Deutschland auf der Nordseeinsel Borkum kritisierte Fliege die Sprache der Kirche als eine, die ebensogut eines Zentralkomitees würdig wäre und rief dazu zum Kirchenaustritt (“Strukturen wie die DDR-Diktatur“) auf. Daraufhin wurde ihm erstens die Moderation eines evangelischen Liederfestes entzogen und zweitens ein Berufsverbot angedroht.
Fliege, geboren im bergischen Radevormwald, konterte diese Volte kühl: „Geben Sie mal einem Millionär Berufsverbot!“ Er kann sich's offenbar leisten, seine Renitenz durchzuhalten. Ohnedies kennt er sich mit Kujonierungen dieser Art aus: Nach seinem Studium belegte ihn seine Kirche mit Kanzelausschluß. Er pflegte daraufhin nicht seinen Kummer, sondern heuerte als Trucker an.
Und pflegt seither sein eigenes Credo: Kirche muß für Menschen da sein, nicht diese für die Kurie. Ist gegen die Todesstrafe und für den Brückenschlag zwischen den Generationen; gegen Armut im Lande und für das gute Gespräch; für Verständnis an sich und Toleranz im allgemeinen – ein Sozialliberaler par excellence und einzige Hoffnung der Kirche – sie weiß es nur noch nicht. JaF
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