Das Portrait: Haitis altlinker Premier gibt auf
■ Rony Smarth
Er wolle nicht an einem Betrug teilhaben, erklärte Premier Rony Smarth Montag nachmittag vor dem Parlament in Port-au-Prince, als er seinen Rücktritt bekanntgab. Der Wahlrat hatte seiner Forderung, das Ergebnis der unter dubiosen Umständen abgehaltenen Senatswahlen vom 6. April zu annullieren, nicht stattgegeben. Die für kommenden Sonntag angesetzte Stichwahl wird von allen Parteien außer „Lafanmi Lavalas“ des Expräsidenten Jean-Bertrand Aristide boykottiert.
Daß der 56jährige Agronom Rony Smarth überhaupt ein Jahr und drei Monate als Premier durchhielt, war schon eine Leistung. Getrieben von der Einsicht, daß ein bankrotter Staat sich keine bankrotten Unternehmen leisten kann, hatte er einen Privatisierungsplan für die wenigen Staatsbetriebe vorgelegt – wogegenen Expräsident Aristide heftigste Proteste entfachte.
So wurde Smarth, den Präsident Préval als kompetenten Ökonomen und politischen Vertrauensmann zum Kabinettschef gemacht hatte, zum Buhmann der Nation. Ein tragisches Schicksal. Denn anders als viele Altlinke hat er seine politische Vergangenheit nicht als Kinderkrankheit abgetan. Seine erste praktische Erfahrung hat er in der Agrarreformbehörde der sozialistischen Regierung Salvador Allendes in Chile gesammelt. Nach dem Putsch von 1973 ging er nach Mexiko, wo er zehn Jahre als Professor an der Universität von Chapingo arbeitete. Dann folgte ein Zwischenspiel im sandinistischen Nicaragua, bis 1986 der Sturz von Diktator Jean-Claude Duvalier den Weg für die Rückkehr nach Haiti ebnete.
Dort baute Smarth gemeinsam mit seinem Bruder ein Wirtschaftsforschungsinstitut auf und beteiligte sich später an der Gründung der „Politischen Organisation Lavalas“ (OPL), die aus den vom charismatischen Aristide mobilisierten Basisorganisationen eine strukturierte Partei machen sollte. Die OPL gewann zwar die Wahlen vom Dezember 1995 und stellt mit René Préval den Präsidenten, doch Aristide, der eine Wiederwahl anstrebt, stand ihr von Anfang an feindselig gegenüber. Jetzt ist es ihm gelungen, die Regierung zu stürzen.
„In unserem Land ist Macht eine Krankheit“, sagte Rony Smarth in seiner Abschiedsrede. Er gehört wohl zu den wenigen Politikern, die sich nicht davon anstecken ließen. Ralf Leonhard
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