Das Portrait: Leben und Sterben für den Everest
■ George Mallory
Eine einleuchtende Erklärung pflegte der britische Bergsteiger George Mallory stets vorzubringen, wenn er auf seinen Vortragsreisen gefragt wurde, warum er so versessen darauf sei, den Mount Everest zu erklimmen: „Um den Stein vom Gipfel für den Geologen mitzubringen, um den Ärzten die Kenntnis über die Grenzen des Ertragbaren zu liefern, aber vor allem wegen des Abenteuergeistes, der die Seele des Menschen am Leben erhält.“
George Herbert Leigh Mallory war an den ersten drei Expeditionen beteiligt, die nach der Entdeckung und Kartographierung des Berges zu Beginn der 20er Jahre unternommen wurden, von der dritten im Jahre 1924 kehrte der damals 38jährige erfahrene Alpinist nicht zurück. Heute kann jeder, der 60.000 Dollar übrig, eine gewisse Erfahrung im Bergsteigen, eine hervorragende Kondition und eine Riesenportion Glück hat, im Rahmen organisierter Touren den Gipfel des mit 8.848 Metern höchsten Berges der Welt erreichen. Trotz modernster technischer Hilfsmittel kann der Ausflug in die eisige und sauerstoffarme Todesregion, wo Gehirn und Beine ungefähr wie bei einem Volltrunkenen funktionieren, aber auch heute noch leicht tödlich enden. 1924 war der Versuch des Gipfelsturms im wesentlichen eine besonders bizarre Form des Selbstmordes.
Zuletzt wurden Mallory und sein Begleiter Andrew Irvine, die den Aufstieg am 8. Juni mit künstlichem Sauerstoff in Angriff nahmen, vom Expeditionsgeologen Noel Odell gesehen, bevor endgültig dichter Nebel die beiden Kletterer verschluckte. Unklar blieb, an welcher Stelle der Nordseite, doch einiges deutet darauf hin, daß sie es bis in eine Höhe von ungefähr 8.710 Metern geschafft hatten. Danach wurde keiner von beiden jemals wieder gesehen – bis zum vergangenen Sonntag, als Eric Simonson, Leiter einer eigens zu diesem Zweck entsandten Expedition, meldete, daß diese Mallorys Leichnam gefunden und nach der Identifizierung beerdigt habe.
Weiterhin ungeklärt ist die seit dem Verschwinden der Bergsteiger heiß diskutierte Frage, ob deren Absturz erst erfolgte, nachdem sie den Gipfel erreicht hatten. Damit wären Mallory und Irvine, nicht aber Edmund Hillary und Tenzing Norgay, die den Mount Everest 1953 bezwangen, die Erstbesteiger des Himalaya-Riesen. Aufschluß verspricht sich die Simonson-Expedition von dem Film in Mallorys Kamera, nach der jetzt fieberhaft gesucht wird. Matti Lieske
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