Das Portrait: Das Unikum von London
■ Jeffrey Archer
„Als ich drei war, wollte ich vier sein; als ich vier war, wollte ich Premierminister sein.“ Es ist eines der vielen Bonmots, mit denen sich Jeffrey Archer zu einer unverwechselbaren Figur in der britischen Politik gemacht hat. Er schaffte es mit dieser Haltung zum Publikumsliebling der Konservativen, und nächstes Jahr wollte er für seine Partei Bürgermeister Londons werden. Jetzt ist das alles vorbei. Nachdem einer von Archers zahllosen Skandalen eine neue und peinliche Wendung nahm, musste der Kandidat am Samstagabend seinen Hut nehmen.
Jeffrey Archer, Polizist, Lehrer, Lord, Abgeordneter, beinahe Londoner BürgermeisterFoto: Reuters
Der Anlass ist so lächerlich wie folgenschwer. Ein Boulevardblatt hatte 1987 berichtet, Archer habe am Abend des 9. September 1986 mit einer Prostituierten geschlafen. Archer klagte wegen übler Nachrede und sagte aus, er habe in Wirklichkeit mit dem befreundeten Autor Ted Francis zu Abend gegessen. Er gewann und erhielt 500.000 Pfund Schmerzensgeld – damals fast zwei Millionen Mark. Tatsächlich dinierte Archer an dem Abend nicht mit Ted Francis, sondern mit seiner Mitarbeiterin Andrina Colquhoun. Die Falschaussage war umso unnötiger, als das Treffen mit der Prostituierten später auf den 8. September geändert wurde, wofür Archer ein echtes Alibi hatte. Jeffrey Archer dürfte nun wegen Irreführung des Gerichts angeklagt werden und müsste dann mit bis zu zwei Jahren Haft rechnen. Außerdem droht ihm eine Untersuchung wegen Insider-Trading an der Börse.
Dass sich Archer sein eigenes Grab schaufelt, ist für ihn ganz normal. Der 59-Jährige versuchte zeitlebens, seine einfache Herkunft zu verbergen, erfand Geschichten um sich herum, probierte zahllose Berufe aus von Polizist bis Sportlehrer, bevor er 1969 Parlamentsabgeordneter der Tories wurde und dann erfolgreiche Groschenromane schrieb. Kometenhaft war seine gesellschaftliche Karriere. In der Partei stieg er unter Margaret Thatcher zum Vizevorsitzenden auf, bis ihn sein Prozess 1987 zu Fall brachte. John Major hievte ihn 1992 ins Oberhaus mit dem Titel „Lord Archer of Weston-Super-Mare“. Danach wurde es still um ihn – bis er beschloss, Bürgermeister von London werden zu wollen, und am 1. Oktober die Urwahl unter Londons Tories haushoch gewann.
Als sein Idol gilt James Bond. Und er lebt tatsächlich, als spiele er beständig eine Rolle in einem selbsterfundenen Drama, demnächst vor Gericht. Allemal spannender als ein langweiliger Bürgermeisterposten.
Dominic Johnson
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen